Ein durchsichtiger Gazevorhang vor einem Lichtkarree. Tonlos entledigen sich vier Tänzerinnen ihrer Kleidung, stehen schließlich nackt am Lichtrand. Atemlose Stille im Publikum. Unbehagen und vielleicht auch Schamgefühl breitet sich im Düsseldorfer Forum Freies Theater (FFT) aus. So direkt und live den nackten Körpern ausgesetzt zu sein, sich einerseits nicht entziehen zu können und gleichzeitig die Wahl des Blickes zu haben, ist schwerer zu ertragen als Nacktheit im Film oder TV, wo die Blickrichtung vorgegeben wird.
Die Tänzerinnen betreten die Bühne, suchen sich eine Position im Raum, formieren sich zu Bildern, Ornamenten, Skulpturen. Alles ganz leidenschaftslos aneinandergereiht und ohne sinnliche Vertiefung. Das erinnert mehr an Freikörperkultur als an die künstlerische Reflektion eines Zustandes, auch wenn Live-Projektionen die Szenerie verfremden. Keren Levi, die israelische Choreografin, hat die Vier nackt hinausgeschickt, um uns „mit dem Begehren unseres Blicks zu konfrontieren“. Doch Begehrlichkeit kommt angesichts der nüchtern inszenierten Körper gar nicht erst auf. Hier wird Normalität inszeniert, die keinen Platz lässt, um „das Verhältnis von Schönheit und Pornografie“ zu bedenken. Weder in den Körpern, den Bewegungen noch der choreografischen Gestaltung liegen eine besondere Schönheit oder pornographische Attitude. Irgendwann langweilt die distanzierte Körperpräsentation der Inszenierung nur noch, die sich genau dieser Schönheit des menschlichen Körpers verweigert. So bezugslos gehört Nacktheit eigentlich nicht auf die Bühne.
Diese Entblößung erschreckt mehr als die glamourhaft inszenierte Nacktheit, wie sie etwa der Choreograf Angelin Preljocaj in seinem neuen Stück „Les Nuits“ zeigt. Mit Kostümen, die mehr entblößen als bedecken, mit lasziven Bewegungsformen bringt Preljocaj beides zusammen: die Schönheit des Körpers und den pornographischen Blick. Den forciert er bewusst mit sexuell betonten Gesten: dem Griff in den weiblichen Schritt, dem männlichen Körper, der sich zwischen die Beine der Tänzerin drängt. Preljocaj tourt derzeit mit „Les Nuits“, und Keren Levis Stück „The Dry Peace“, vorgestellt im Rahmenprogramm des Tanzkongress 2013, ist Teil einer Trilogie des FFT über Public Bodies und die Dramaturgie der Entblößung im Herbst 2013. Dass weibliche Nacktheit nicht in die Falle des männlich-begehrenden Blickes geraten muss, hat die Kölner Choreografin und Tänzerin Barbara Fuchs mit ihrer Inszenierung des nackten Körpers in „DAS – Solo für eine Gestalt“ (2010) gezeigt. Zwischen Entblößung und Nacktheit setzt sie den Körper einer tänzerischen Selbstbefragung aus, um nach seinen maskulinen und femininen Anteilen zu forschen. Ihr Solo bezieht seine Spannung aus der Verkörperung des jeweils abwesenden Teils. Dies darzustellen, gelingt ihr mit der expliziten Nacktheit des Körpers vor sich selbst. Nacktheit wird dabei zur inhaltlichen Aussage und bezieht erst daraus ihre inszenatorische Berechtigung. Als Matrix steht die Idealvorstellung von einer Einheit des Körpers. Die allerdings findet sich wohl nur im androgynen Menschen.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
It’s a man’s world
Angelin Preljocajs „Les Nuits“ in der Oper am Dom – Tanz in Köln 06/13
Denken und Fühlen im Spiegel
Sachbücher, die einen nicht mehr loslassen – Textwelten 06/13
Die Nackten und die Blutigen
choices.de & kinoart.net präsentieren: Zensierte Kinoplakate aus sechs Jahrzehnten – Portrait 12/11
Die Macht der Nackten
Nackte auf der Tanzbühne - Tanz in NRW 04/09
Das Vergnügen der Kunstgeschichte
"Künstlerpaare" und "Der verbotene Blick auf die Nacktheit" - Kunst in NRW 12/08
Tanzen, auch mit Prothese
Inklusive Tanzausbildung von Gerda König und Gitta Roser – Tanz in NRW 01/25
Die Erfolgsgarantin
Hanna Koller kuratiert die Tanzgastspiele für Oper und Schauspiel – Tanz in NRW 12/24
Im Kreisrund sind alle gleich
4. Ausgabe des Festivals Zeit für Zirkus – Tanz in NRW 11/24
War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24
Supergau?
Die TanzFaktur steht wieder einmal vor dem Aus – Tanz in NRW 09/24
Kaffee, Kuchen, Stacheldraht
12. Tanz.Tausch Festival in der Kölner TanzFaktur – Tanz in NRW 08/24
Wunderbar: alles ohne Plan
„Leise schäumt das Jetzt“ in der Alten Feuerwache – Tanz in NRW 07/24
Vor der Selbstverzwergung
Ausstellung zu den „Goldenen Jahren“ des Tanzes in Köln – Tanz in NRW 06/24
Philosophie statt Nostalgie
Das Circus Dance Festival in Köln – Tanz in NRW 05/24
Das Unsichtbare sichtbar machen
Choreographin Yoshie Shibahara ahnt das Ende nahen – Tanz in NRW 04/24
Tennismatch der Kühe
„Mata Dora“ in Köln und Bonn – Tanz in NRW 03/24
Kommt die Zeit der Uniformen?
Reut Shemesh zeigt politisch relevante Choreographien – Tanz in NRW 02/24
Am Ende ist es Kunst
Mijin Kim bereichert Kölns Tanzszene – Tanz in NRW 01/24
Tanz auf Augenhöhe
„Chora“ in der Tanzfaktur – Tanz in NRW 12/23
Eine Sprache für Objekte
Bundesweites Festival Zeit für Zirkus 2023 – Tanz in NRW 11/23
Die Sprache der Bewegung
Die Comedia lockt das junge Publikum zum Tanz – Tanz in NRW 10/23
Kinshasa und Köln
„absence#4“ im Barnes Crossing – Tanz in NRW 09/23
Tänzerinnen als „bad feminist“
tanz.tausch in Köln – Tanz in NRW 08/23
Den Blick weiten
Internationales Tanz-Netzwerk Studiotrade – Tanz in NRW 07/23
Das Gras wachsen hören
„Grün“ von tanzfuchs – Tanz in NRW 07/23