Tanz in Köln, das ist eine groteske Leidensgeschichte. Mit viel Glück könnte 15 Jahre nach Abschaffung der eigenen städtischen Kompagnie vielleicht 2011 wieder ein Ensemble gegründet werden. Als der Bund im Rahmen seines Projekts Tanzplan Unterstützung bereitstellte, drehte Kölns Politik halsbrecherische Pirouetten mit Knieschuss, so dass die Stadt, in der fast 50 Prozent aller Tanzschaffenden von Nordrhein-Westfalen leben, von dieser Förderung ausgeschlossen blieb. Absurd auch, dass viele Choreographen, die in Köln leben, im halb so großen Düsseldorf ihre Premieren abwickeln müssen, weil es in der Millionenstadt nur schlechte Aufführungsmöglichkeiten gibt. Genau dieser Widerspruch ist aber auch interessant, wenn man auf ihn zugeht.
Das hat Anja Kolacek mit ihrer Aktion „Köln tanzt“ getan. Egal, was Politik und Verwaltung noch so alles stricken, die Bürger, die Künstler, die Stadt hat Power, deshalb ziehen die Kreativen ja auch an den Rhein. „Wenn man nachts um zwei in Köln durch die Stadt geht, dann sind die Straßen manchmal noch voller Menschen. Hier ist echt was los“, erklärt die gebürtige Essenerin. Tanz, Schauspiel, Kunst, Musik und die Neuen Medien unterhalten ihre eigenen Szenen in der Stadt. Jammern ist also kontraproduktiv, und so hat Anja Kolacek auf diese Power gesetzt und in ihrem Projekt allen, die tanzen, eine Bühne bereitet. Neben dem klassischen Tanz gibt es Jazztanz, Standardtanz, Breakdance, Bauchtanz, Hip Hop, Tanzmariechen, Folklore und moderne Tanzkunst zu sehen. Allen gemeinsam ist die Leidenschaft für das Tanzen; wie diese gestaltet und gelebt wird, sieht bei jedem der 280 Mitwirkenden in den Spichernhöfen anders aus. Hier hat sich jemand nicht von all den fehlenden Möglichkeiten ins Bockshorn jagen lassen, sondern auf Potential gesetzt. Und das nicht wahllos, sondern mit System. Dem Massenevent ging eine umfangreiche Planung im Netz voraus, bei der alle, die in Köln tanzen, im Portrait erfasst wurden bzw. immer noch erfasst werden, denn über 150 Portraitwünsche gilt es noch abzuarbeiten. Dann jedoch hat man in einer beispiellosen Inventur das Potential des Tanzes in Köln vermessen und eine Infrastruktur gelegt, die Kommunikation untereinander leicht macht und für Veranstalter einen willkommenen Pool für Engagements bietet. Die Aktion, die geradezu nach Fortsetzung schreit, zeigt aber auch, dass man nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag warten muss und ein Tanzhaus eröffnet ist, Enthusiasmus und Kreativität speisen sich aus realen Quellen, die es zu zeigen gilt. Hier hat jemand ein zwar weit gestecktes, aber gerade deshalb auch umso inspirierenderes Format geschaffen, das beispielhaft sein könnte für den Umgang mit der Krise.
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