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Die Musikerin Sonia Güttler (Sonae) spricht mit Moderator Peter Grabowski

Kultur im Wandel

13. Dezember 2016

Podiumsdiskussion anlässlich 20 Jahren Kulturrat NRW – Spezial 12/16

Wer sich in Museen, Theatern oder Opernhäusern aufhält, sollte wissen: Hier altert man schneller. Die Statistiken zeigen: Es fehlt an ausreichend Nachwuchs, viele traditionelle Kulturinstitutionen beklagen einen Besucherrückgang. An anderer Stelle, etwa bei der elektronischen Musik oder Poetry Slams, gibt es Wachstum – aber sind diese Veranstaltungen auf derselben Ebene anzusiedeln wie das stark subventionierte kulturelle Hauptprogramm einer Stadt? Der nicht aufzuhaltende „Generationenwechsel in der Kultur“ beschäftigte am vergangenen Freitag anlässlich seines 20. Geburtstags den Kulturrat NRW im Filmforum.

Auf die Frage von Moderator Peter Grabowski, ob elektronische Musik die neue Klassik sei, antwortet die in Köln lebende Musikerin Sonia Güttler (Sonae) nach kurzer Sprachlosigkeit ebenso provokant mit: „Ist sie das nicht längst?“ Sie verteidigte ihre Musikszene vor dem Eindruck von Kulturferne: „Die DJ-Kultur hat sehr filigrane Geflechte, die tief in ein künstlerisches Verständnis hineinreichen.“


V.l.n.r.: Susanne Keuchel, Gregor Schwellenbach, Martin Grabowski, Sonia Güttler und Wolfgang Gründinger, Foto: Sabine Große-Wortmann

Zwei Geschwindigkeiten: Förderung und Stadtkultur

Das zwiespältige Verhältnis der Popkultur zur Förderung bringt ihr Kollege, der Komponist Gregor Schwellenbach, zum Ausdruck, der zuletzt „Drones – Eine Drohnenoper“ auf die Bühne brachte. Hochkultur gehöre zwar gefördert, weil sie ein „Selbstwertgefühl“ auf die ganze Gesellschaft abstrahle, bei der Popkultur sei es aber schwieriger: „Ich möchte keine staatlichen Popmusiker hören.“ Sonia Güttler hingegen sieht da eher Chancen für junge Kulturschaffende, die allerdings über ihre Möglichkeiten besser aufgeklärt werden müssten: „Ich musste erstmal lernen, dass es Kulturförderung überhaupt gibt.“ Sowohl sie selbst, auch das Berliner Plattenlabel würden gelegentlich Förderung in Anspruch nehmen. Man müsse dafür aber langfristig planen und sich auf monatelange Bewilligungszeiten einstellen. „Geiler Scheiß, der passiert manchmal viel, viel schneller und der will gemacht werden!“

Die laufende Schließung von „spannenden Locations“ würden das Warten besonders schwierig machen: „Ich weiß jetzt von irgendwelchen Off-Locations, in die ich unbedingt reinwollen würde mit meinen Projekten, und dann strecke ich meine Fühler aus und ich weiß jetzt schon: Die wird es bis Ende des Jahres nicht mehr geben. Ich habe aber gerade erst meinen Antrag für nächstes Jahr abgegeben.“ Diese Räume, sagt Güttler, müssten geschützt werden, und es gebe auch einen Bedarf an Technik und guten Musikanlagen, dem spontaner begegnet werden müsse.


Stehen für eine neue Kultur-Generation: Sonia Güttler und Wolfgang Gründinger

Engagement und Organisation

Ähnlich äußerte sich „Zukunftslobbyist“ Wolfgang Gründinger, unter anderem Autor des Buches „Alte-Säcke-Politik“. Neben der Förderung gehe es auch um die Schaffung und den Schutz von „Möglichkeitsräumen, damit Subkultur entstehen kann“, so wie in Berlin nach dem Mauerfall. „Die Möglichkeitsräume sind überall in Deutschland in Gefahr durch Kommerzialisierung, durch knappen Wohnraum, viele Verteuerungen und so weiter.“ Er empfahl der jungen Generation, ihre Interessen klar zu vertreten: „Das fällt heute Menschen schwerer, als das früher der Fall war. Denn junge Menschen sind heute erstmal weniger als früher und zweitens sind sie kaum organisiert. Und das schwächt die junge Generation.“ Schwellenbach wies darauf hin, dass die fehlende Selbstorgansiation auch in Sachen Urheberrecht gelte, wo sich manche Musiker „sehr dumm“ verhalten würden: „Politisches Denken liegt nicht jedem im Blut.“

Ein Bereich, in dem Sonia Güttler klare Fortschritte sieht, ist die Präsenz von Frauen in der Musik. Die Presse und die Labels seien wach geworden, es gebe seit wenigen Jahren mehr Veröffentlichungen von Frauen. Es sei ihre Hoffnung, „dass wir eines Tages wie selbstverständlich in einen Plattenladen kommen, und dann stehen da im News-Regal genauso viele Releases von Frauen wie von Männern.“ Mit der Auftrittsquote sehe es aber immer noch „grotesk schlecht“ aus: Auf Festivals und in Clubs würden nur 8 bis 10 Prozent Frauen gebucht.

Prekäres Künstlerleben zwischen Markt und Subvention

In einem Referat gab Prof. Dr. Susanne Keuchel, Direktorin der Akademie für Kulturelle Bildung, einen Überblick über die aktuelle Situation der Kulturinstitutionen im historischen Kontext. „Eine zunehmende Ökonomisierung kann seit den 90er Jahren in allen Gesellschaftsbereichen, auch Bildung und Kultur beobachtet werden.“ Das gewinne auch für die öffentlich geförderten Institutionen zunehmend an Bedeutung und verstärke sich „durch zunehmende Globalisierung, Kommerzialisierung und Medialisierung“. Der Staat halte sich zunehmend zurück unter „Annahme eines Markt-selbstregulierenden Prinzips durch Angebot und Nachfrage“, die sich auch „innerhalb der Kulturszene weitgehend etabliert“ hätten und in den Forderungen des Buchs „Der Kulturinfarkt“ (2012) zum Ausdruck gekommen seien.

Wegen des „eher bewahrend Charakters“ klassischer Kultureinrichtungen, die sich gemäß der Förderlogik vom privaten Markt abgrenzen müssten, würden junge Künstler mit ganz neuen Ideen eher projektspezifisch oder für den Markt arbeiten und oft unter unsicheren und prekären Verhältnissen leben. „Neue öffentlich geförderte Räume von der Politik einzufordern, wie dies die vorherige Generation in den 70er Jahren im Rahmen der neu gegründeten soziokulturellen Zentren tat, scheint für die junge Generation angesichts einer veränderten Förderpolitik eher aussichtlos und utopisch.“ Frei zugänglich seien hingegen „digitale Kunstproduktionsräume“ wie YouTube und Twitter. „Immer wieder gelingt einzelnen, wie zum Beispiel der Bloggerin Stefanie Sargnagel, der Sprung von sozialen digitalen Netzwerken auf den Profimarkt.“

Wettbewerb allein sei nicht immer gut für die Kunstproduktion. Es gebe „eine Vielzahl von Kunstwerken, die Zeit benötigen, bevor diese mehrheitlich Akzeptanz finden, man denke an Schuberts ‚Unvollendete‘.“ Anderes ließe sich kurzfristig vermarkten, nutze sich aber bald ab. „Im Sinne der jungen Künstlergeneration und des Publikums von morgen stellt sich die Frage, ob es fair ist, die Künste zu stark zu liberalisieren, zu stark zu kommerzialisieren.“


Der Kulturrats-Vorsitzende Gerhart Baum

Aktuelle Arbeit des Kulturrats

Der Vorsitzende des Kulturrats und ehemalige deutsche Innenminister Gerhart Baum wies in seiner Eingangsrede unter anderem darauf hin, dass der Kulturrat nun auch im Rundfunkrat vertreten sei und sagte mit Blick auf die künftigen Schwerpunkte, dass man eine Verdoppelung des Kulturhaushalts des Landes anstrebe, da die Gemeinden, die in NRW 80 Prozent der Förderleistungen tragen müssten, in einer schwierigen Lage seien. „Das Verhältnis stimmt nicht mehr“, wenn man etwa Unna mit Berlin vergleiche. Es gehe aber auch um die Haltung zu Kultur, die nie eine „Mehrheitssache“ werde. Eine „Minderheit trägt wesentlich dazu bei, dass sich diese Gesellschaft auch in Zukunft lebensfähig entwickelt“. Weiterhin wolle der Kulturrat „individuelle Künstlerförderung“ betreiben und nach den Wahlen auch einen Ansprechpartner in der Landesregierung haben: „Wir brauchen ein Gesicht, jemand, der verantwortlich ist und am Kabinettstisch sitzt.“ Ein Erfolg für die Kultur sei das Kulturfördergesetz, das für mehr Transparenz und Planungssicherheit sowie mehr Mittel sorge. Grußworte gab es von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Kulturministerin Christina Kampmann.

NRW-Videowettbewerb Querbeet

Der Kulturrat hatte auch den Videowettbewerb „Querbeet“ ausgerufen. Die Frage: „Was macht für dich Kultur in diesem Bundesland aus?“ sollte in maximal 3 Minuten in Bild und Ton beantwortet werden, von „den Menschen, die von ihrer Gestaltung der Umwelt oder ihrer Teilhabe daran persönlich berichten“, so Jury-Mitglied Matthias Hornschuh. Um die Hemmschwelle niedrig zu halten und eine „Breitenkultur“ einzufangen, habe man vor allem zu Handy-Videos ermutigt. Den ersten Platz (3000 €) unter rund 50 Einsendungen belegte der Duisburger Jungdesigner Lukas Loss mit einem Video zur künstlerischen Gestaltung einer Autobahnwand, von der innerhalb selbstgemachter Holzschablonen der Schmutz abgebürstet wurde. Mittels des „Reverse Graffiti“ sei es ihm um eine „Vermittlung durch Wegnahme“ gegangen.


Matthias Hornschuh (l.) mit Benjamin Leers, Daniel Huhn und Lukas Loss

Auf den zweiten Platz (1000 €) kamen Daniel Huhn und Benjamin Leers („The Teacher's Country“) von Benda Film aus Köln, die die Betreiber des traditionsreichen Essener Autokinos bei der Arbeit interviewten und die Atmosphäre dort einfingen. Dabei habe sich herausgestellt, dass „manchmal der Ort mehr Kultur ist als das, was auf der Leinwand kommt“. Unter dem Arbeitstitel „Heimatkino“ recherchiere man für ein größeres Filmprojekt über den Wandel der Kinokultur in NRW, und der Wettbewerb sei daher ein Anlass gewesen „loszugehen und einfach mal was zu drehen und auszuprobieren“. Die Plätze 3 bis 15, alle belohnt mit einer GoPro-Kamera, sind ebenfalls Teil des im Filmforum gezeigten Zusammenschnitts, bei dem Jugendliche und das Ruhrgebiet recht stark vertreten sind. Der Film ist im Internet abrufbar, wobei die Plätze 1 und 2 am Anfang des Films zu sehen sind – die restlichen Plätze sind allerdings gemischt.

Querbeet-Gewinnerfilme | www1.wdr.de/mediathek/av/video-querbeet-kinofassung-100.html

WDR3-Podcast der Podiumsdiskussion | www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr3/wdr3-forum/audio--jahre-kulturrat-nrw-100.html

Text/Fotos: Jan Schliecker

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