Im März und April vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg in Köln zwei Mal, im folgenden Mai ein drittes Mal und war damit in Europa offiziell beendet. An diesen Umstand des dreifachen Kriegsendes in Köln erinnert die Sonderausstellung des NS-Dokumentationszentrums im Gewölbe des EL-DE-Hauses.
Die historische Verortung der Ausstellung folgt dabei einer erinnerungspolitischen Konvention der Jahrestage, die sie jedoch, statt entlang historisch-politischer Großereignisse, mit Hilfe persönlicher Erfahrungen und Erinnerungen der Kölner erzählt. Im Mittelpunkt stehen daher zeitgenössische Zeugnisse der Alltagsgeschichte und Dokumente der Oral History.
Historische Fakten und ihre Darstellung
Eine Ausstellung allein der historischen Fakten wäre ohnehin schnell geschildert: Nach den letzten Luftangriffen auf die schon schwer zerstörte Stadt befreite die US-Armee am 5. und 6. März das linksrheinische Köln. Die rechtsrheinischen Stadtteile mussten noch, nach der Sprengung der Hohenzollernbrücke im Rückzug der Wehrmacht, das Willkürregime aushalten, das die ins Bergische geflüchteten Stellen von Gestapo, NSDAP und SS in Terrorakten mit fliegenden Gerichten, Exekutionen und Massakern aufrechterhielten. Es entstand damit die Situation eines Kriegsendes zum 6.3. einerseits, und des Erhalts eines Scheins von Machtausübung, einer Fortführung des Krieges um anderthalb Monate andererseits. Erst zwischen dem 11. und 14. April befreiten von Süden vorstoßende Einheiten das rechtsrheinische Köln – das zweite Kriegsende der Stadt.
Im Zwiespalt von Geschehnissen, ihrer jeweiligen persönlichen Verarbeitung und Erfahrung und den Fakten stellt sich die Frage nach Darstellbarkeit und Darbietungsmöglichkeiten eines Museums. Auf der Grundlage einer Geschichtsschreibung, die den Alltag der Menschen, die Menschen selbst in den Blick nimmt, entschied sich das NS-Dok für ein Konzept, welches emotionale Ansprache, ästhetisch reizvolle Gestaltung und historische Informationen und Dokumente verbindet. Teil des Ausstellungskonzepts ist dabei die Überschreitung des musealen Kontexts, in Anbetracht der Darbietungsform der Exponate wie in Hinblick auf die Überschreitung der Räumlichkeiten des Museums: indem Geschichte nicht allein in einer Ausstellung als historische Tatsache präsentiert, sondern sie darüber hinaus dort, wo sie passierte, nähergebracht wird.
Public History am Neptunbad
Wie letzteres funktionieren kann, zeigte die Eröffnung der Ausstellung mit einer Projektion von Film- und Fotoaufnahmen des ersten Kriegsendes und der ersten Tage einer Nachkriegszeit an das Ehrenfelder Neptunbad, unweit der Venloer Straße, auf der US-Truppen im März 1945 vorrückten. So steht das Publikum an diesem Abend mit besagter Venloer Straße im Rücken auf dem Neptunplatz und sieht vor sich die Schuttberge, Soldaten, weiße Fahnen, erleichterte, misstrauische Zivilisten, auf der Venloer, am Bahnhof West, am Friesenplatz. In den Aufnahmen lässt sich chronologisch das Vorrücken vom Stadtrand und den Außenbezirken, durch Ehrenfeld, über den Grüngürtel in die Innenstadt zum Dom nachvollziehen. Es sind mitunter gespenstische Aufnahmen einer Ruinenstadt, die ein dissonantes Gefühl hinterlassen. Sie rufen in Erinnerung, dass die weitflächige Zerstörung in Köln zu Kriegsende seit mehreren Jahren alltäglich war, dass Köln eine Geisterstadt mit weniger als 90.000 Einwohnern geworden war. Unterlegt ist die Projektion mit Zitaten von Kriegsberichterstattern, Volkssturmmännern und verbliebenen Bewohnern der Stadt, es folgen ebensolche Aufnahmen und Zitate zu den ersten Tagen nach der städtischen „Stunde Null“. So entsteht aus der Vielfalt und im Zusammenspiel der Quellen ein polyphones Bild, das wohl nah an ein Gesamtbild herankommt, in jedem Fall ein weitläufiges Panorama des März 1945 darstellt.
Geschichte wird nahbar
Die Museumsmacher bezeichnen die Gestaltung der Sonderausstellung im Gewölbe des EL-DE-Hauses als „Media-Box“, die verschiedene Zugänge zum Thema inhaltlich, methodisch wie ästhetisch, versucht. In der sich auch in der räumlichen Aufteilung wiederspiegelnden thematischen Gliederung in linksrheinisch und rechtsrheinisch, die ein Korridor als stilisierter Rhein trennt, finden sich zahlreiche Foto- und Filmprojektionen, Licht- und Audioinstallationen, Briefe, Zeitzeugeninterviews und Ausschnitte aus den Graphic Novels der Künstlerin Kane Kampmann, die für das Gestaltungskonzept der Ausstellung verantwortlich zeichnet. Sämtliche „Exponate“ entsprechen damit kaum denen einer üblichen Museumsausstellung, sie sind vielmehr Zeugnisse der Alltagsgeschichte, des Alltags einer Stadt, die seit spätestens Mitte 1944 im Chaos versinkt und in der rechtsfreie Räume in der Ruinenlandschaft existieren – in denen Nazis wie Widerständler und Untergetauchte gleichermaßen agieren.
Es erfolgt in der oberflächlich reduzierten, darunter aber tiefgreifenden Ausstellung keine museal allzu oft begegnende Überfrachtung mit Texttafeln, Schaubildern und anderen, bisweilen ermüdenden Mitteln musealer Darstellung. Zwar wird ein Zugang in die Masse der Zeugnisse angeboten, doch entscheidet das Publikum an den Medienstationen schließlich selbst über die Tiefe der Beschäftigung mit den Dokumenten. Lässt man sich darauf ein, entsteht neuerlich eine Polyphonie verschiedenster Blickwinkel auf die Kriegsenden. Es sind alltägliche Zeugnisse des Erlebens im Frühjahr vor 75 Jahren, welche diese Zeit nahbar machen. Sie sind Einblicke in einen Alltag und ein Alltagsbewusstsein zwischen Indoktrination, Bomben, Trümmern und Hoffnung. Dauerhaft zugänglich gemacht sind die Materialien der Ausstellung in einer WebApp.
Hier stellt sich heraus, dass durchaus noch nicht alles bekannt, besprochen, gesagt ist, was in der städtischen Geschichte und darüber hinaus passierte. Der verdienstvollen Arbeit des NS-Dok an der Aufklärung über die Zeit des Nationalsozialismus in Köln wird mit der Ausstellung, die gar keine zu sein scheint und doch mehr bietet und tiefere Einblicke gewährt, als eine konventionelle Museumsdarbietung, ein weiterer Wegstein hinzugefügt.
Kriegsenden in Köln. Stadt und Menschen zwischen dem 6. März und 8. Mai 1945 | bis 24.5., Di-Fr 10-18, Sa/So 11-18 Uhr | NS-Dokumentationszentrum im EL-DE-Haus | 0221 22 12 63 32
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