Die vierte Pluriversale der „Akademie der Künste der Welt“ beschäftigt sich mit dem Thema „Kolonialismus“ in seinen vielen unterschiedlichen Facetten. Um darüber zu diskutieren, inwiefern die deutsche Willkommenskultur in Migrations- und Flüchtlingsfragen als kolonial zu bezeichnen ist, hat die Akademie unter Leitung des Moderators Miltiadis Oulios am 3. Mai zwei Experten eingeladen. Zum einen Kien Nghi Ha vom Institut für postkoloniale und transkulturelle Studien der Universität Bremen, zum anderen den Publizisten Mark Terkessidis, der sich mit den Schwerpunkten Popkultur und Migration befasst.
Dass die deutsche Willkommenskultur schon längt zum Mainstream geworden war, macht Moderator Oulios gleich zu Beginn der Diskussion klar, indem er eine Kaffeetasse mit dem Aufdruck „Refugees Welcome“ hoch hält. Leider ist es ebenso offensichtlich, dass genau diese Kultur seit der Kölner Silvesternacht ein Ende gefunden hat. Angela Merkels Abkommen mit der Türkei ist da nur die Spitze des Eisberges. Doch was genau war an dieser deutschen Willkommenskultur tatsächlich „kolonial“? Kien Nghi Ha sieht das Problem unter anderem in den Integrationskursen, die er als „Machtinstrument zur Abschiebung“ bezeichnet. Sie stellen Asylsuchende vor ein juristisches Dilemma, das Integration zum Zwang macht. Ein weiterer problematischer Aspekt der Integrationspolitik sei die Aufteilung von Menschen in Gruppen, die sich nach einer eurozentrischen, weißen Vorstellung von Europa ausrichte. So werden Christen beispielsweise in der Entscheidung um Asyl vor Nicht-Christen bevorzugt. Die Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland, das macht Kien Nghi Ha deutlich, ist für ihn nur eine politische Image-Kampagne, die einem „kolonialen Helfersyndrom“ entspringe.
Doch was will Angela Merkel mit der Aufnahme der Flüchtlinge bezwecken? Steckt gar ein demographisches Kalkül dahinter oder einfach nur eine erschreckende Orientierungslosigkeit, wie Mark Terkessidis in den Raum wirft? Er habe Bedenken, was die Verbindung von Kolonialismus und Flüchtlingsaufnahme in Deutschland angeht, da er keinen Erkenntnisgewinn daraus ziehen könne. Es fehle außerdem eine gewisse Kontinuität von den Anfängen des Kolonialismus zu Beginn des letzten Jahrhunderts, bis hin zu den jüngsten Migrationsbewegungen. Nicht zuletzt sei die deutsche Kolonialgeschichte ja durch brutale Gewalt geprägt worden. Die Anknüpfungspunkte zu den Ereignissen der letzten Jahre seien schwer auffindbar. Zu Recht merkt er an, dass die mangelhaften Integrationskurse, die schlechte Wohnsituation der Flüchtlinge sowie das komplexe Aufenthaltsrecht weitaus größere Probleme darstellen.
Damit bringt Terkessidis die Problematik der Diskussion an diesem Abend auf den Punkt: Während man in Deutschland über ein koloniales Kalkül der Willkommenskultur sprechen kann, gab es ebendiese Kultur in den meisten europäischen Ländern überhaupt nicht. Die „koloniale Strategie“ von der an diesem Abend gesprochen wird, ist zum einen schwer verhandelbar, da jede Diskussion über die Intention der deutschen Flüchtlingspolitik nur zu Spekulation werden kann. Zum anderen stellt sie ein Luxusproblem dar, angesichts der desolaten deutschen Asylpolitik, die für die meisten Flüchtlinge wohl eine weitaus größere Hürde darstellt. In der anschließenden Publikumsdiskussion werden aber schon wieder vermeintlich wichtige Fragen aufgeworfen: Warum denn keine Frauen an der Diskussionsrunde teilnehmen, um die gender equality zu gewährleisten, und ob „privilegierte, weiße Männer“ überhaupt entscheiden sollten, wann denn die deutsche Kolonialzeit angefangen und wann sie aufgehört habe.
Wem bringen diese Fragen etwas? Den Flüchtlingen bestimmt nicht. Wahrscheinlich geht es uns allen zu gut.
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