Namen und Handlung sind frei erfunden. Doch es dürfte nicht schwer fallen, in Köln eine Familie wie die Theater-Familie Kaplan mit Integrationshintergrund zu finden. Diese Familie, die Yoshiko Waki und Rolf Baumgart in ihrem, wie sie es nennen: Familien-Tanztheater „Kölnstantinopel“ auf die Bühne der Kulturen in Ehrenfeld bringen, ist schon sehr speziell. Genau genommen ist es eine Familie im Ausnahmezustand. Kein Wunder, lebt sie doch zwischen mindestens zwei Welten, die von ihr täglich den Spagat zwischen islamischen Orient und christlichem Okzident abverlangen. Viel Verständnis für die Probleme, die sich aus diesem gleichzeitigen Leben in zwei Welten ergeben, darf Familie Kaplan im Alltag von ihrer kölschen Umwelt nicht erwarten – auch wenn sich der Kölsche das „levve un levve losse“ gern auf die Fahne schreibt.
Das Stück beginnt, während die Zuschauer noch Platz nehmen. Laut beten auf der offenen Bühne Vater, Mutter, Kinder, Onkel auf ihren Gebetsteppichen. Doch dann fliegen die Kopftücher in die Ecke, die ohnehin nicht zum bauchfreien Topp der Tochter passen. Aus dem Publikum werden angebliche Nichten, Neffen, Tanten und Großtanten auf die Bühne geholt. Wir alle sind Kölnstantinopel will uns das Regie- und Choreografen-Team Waki/Baumgart damit wohl sagen. Dieser Wir-Gedanke wird in den vielen Tanztheater-Szenen des Stückes oft genug aufgebrochen, wenn die zwei Lebensformen gegenüber gestellt werden. Dabei wird überzeichnet und übertrieben, um Klischees und Stereotype zu entlarven. Vater Kaplan wird als verehrungswürdiges Familienoberhaupt von den Töchtern mit Handkuss begrüßt, mit der Wasserpfeife versorgt, wird massiert, liebkost, gefüttert und bietet sie im gleichen Moment frauenverachtend zum Eselreiten an.
Schon der nächste Schritt bringt ihn in die moderne Welt. Er beginnt mit allen eine Schleiertanz-Parodie mit synchronem Hüftschwingen, Street- und Breakdance-Elementen und frechem Rap-Gesang über die westlichen sexuellen Freiheiten (ich bin geil, ich kann f…). Doch zum Schluss stehen die Frauen wieder an den Waschbrettern, um ihre Schleier zu rubbeln. Filmeinblendungen mit Interviews belegen die Toleranz Kölner Bürger und die Intoleranz der rechten Pro-Köln-Bewegung. Deren Anti-Moschee-Demo wird witzigerweise rückwärts abgespult. Ein dramaturgischer Trick, um die Rückwärtsgewandtheit der Neo-Nazis zu demonstrieren.
„Kölnstantinopel“ ist ein Tanztheater der Extreme. Deftig und für Manchen auch zu anschaulich erzählen die Mädchen von Sexpraktiken mit wechselnden Partnern. Einigen Zuschauern sind die verbal und gestisch eindeutigen Szenen und obszönen Songtexte zu deftig – sie gehen. Doch es gibt auch leise Szenen. Etwa wenn die zwölfjährige Tochter erzählt, dass sie sich hat taufen lassen, um am deutschen Gymnasium angenommen zu werden. Gängige Klischees und Vorurteile beider Seiten – der Deutschen wie der Migranten – werden von der türkisch-aserbeidschanischen Laientruppe gegen den Strich gebürstet. Bis auf einen Profi-Tänzer sind es tatsächlich alles Laiendarsteller, die sich da semi-professionell gekonnt in ihrer Direktheit präsentieren. Yoshika Waki und Rolf Baumgart bringen mit ihrer in Köln neu angesiedelten Gruppe bodytalk ein Tanztheaterformat auf die Bühne, das bisher gefehlt hat und die Kölner Tanzszene eindeutig bereichert.
"Kölnstantinopel I 15.12. und 16.12., 20 Uhr I Bühne der Kulturen
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