Mit ihrer kostenlosen Eröffnungsveranstaltung des Frühlings, „Akademie x Ebertplatz“ in der Ebertplatzpassage wollte die Akademie der Künste der Welt am Freitagabend ihre Solidarität mit den dort ansässigen Galerien zeigen, zumal sich die Freie Szene ihrerseits solidarisch mit der Akademie gezeigt hatte. Den Galerien hatte 2017 die Kündigung gedroht und bald darauf die Akademie mit einer kurzfristigen Mittelkürzung, ebenfalls von städtischer Seite, einen Schuss vor den Bug erhalten. Das sorgte wohl mit dafür, dass die Aktion nun zu einem Zeitpunkt stattfand, wo sich in Hinblick auf den Ebertplatz die Wogen schon geglättet haben und sich Lösungen abzeichnen.
Alle Künstler des Abends gingen auf den Ort ein und brachten Erfahrungen aus anderen Städten und Ländern ein. Melissa Logan von Chicks on Speed etwa machte sich für Utopien stark (Song „Utopia“), die natürlich einen Schutzraum brauchen, die spirituelle LaToya Manly-Spain, die besonders in Hamburg aktiv ist, skandierte zum Abschluss des Konzerts „Ebertplatz – Kunstplatz“ mit Teilen des Publikums und erklärte, dass man sich nicht auf Politik und Verwaltung verlassen könne, sondern eine „neue Welt“ eigenhändig erschaffen müsse.
Tatsächlich war vor Ort noch wenig davon zu merken, dass sich die Politik mit der Passage befasst. Oft trifft man auf Drogendealer, die Kundschaft in einem sehen wollen. Die Rolltreppen funktionieren schon lange nicht mehr, die Beleuchtung erinnert an Tiefgaragen und die Wände werden an Werbeagenturen verpachtet. Die Pfeiler und Flächen sind schmutzig, es gibt weder ein Farbkonzept noch Pflanzen. Mit dem im März vorgestellten Zwischennutzungskonzept soll sich die Lage demnächst verbessern, zumal die Akteure vor Ort in die Planungen einbezogen werden. Die Veranstaltung gab ihnen sicher neuen Rückenwind.
Künstlerischer Mittelpunkt war die mithilfe des Schauspielers Stefan Mießeler produzierte einstündige Multimedia-Performance von Inder Salim, einem Konzeptkünstler aus Neu-Delhi, der zunächst zu einer über die Lautsprecher ertönenden Kurzgeschichte – „The Dog of Titwal“ des indischen Schriftstellers Manto – einen Hund verkörperte, der zwischen den Fronten von Pakistan und Indien hin- und herlief, zu unrecht mit dem Gegner identifiziert wurde und schließlich den Tod fand. Die Geschichte entstand zur Anfangszeit des Kaschmirkonflikts – der Künstler stammt aus Kaschmir – und bezog sich somit auf weiter andauernde Folgen des bei Akademie-Veranstaltungen oft thematisierten Kolonialismus. Der Text lief auf Englisch zu Videomaterial auf einer Leinwand mit.
Im Schaufenster der Galerie Gold + Beton, über dem die Worte „Nothing Is Outside“ hingen und deren Leiterin Meryem Erkus kuratorisch an dem Abend mitwirkte, bereitete Salim anschließend ein Reisgericht zu, indem er die Aromen separat kochender Substanzen in die Kochschüssel leitete. Es handelte sich um Gewürze wie Kardamon und Ingwer aus der Erde seiner Heimat. Dann ging er herum und ließ das Publikum von dem in solcher Weise aufgeladenen Reis probieren, als Teil eines beispielhaften Rituals der Verbindung. Außerdem verlas er – was wohl dem Akademie-Gedanken geschuldet war – während des Kochens Äußerungen des Philosophen Gilles Deleuze in englischer Sprache, unter anderem mit Grundgedanken zur Performancekunst, die zwischen Salims Schwierigkeiten mit der Sprache und dem Lärm des Publikums unverstanden blieben. Verstehen konnte man allerdings Salims Gleichsetzung von Mensch und Tier, die er zuvor dargestellt hatte und auf den Titel „Nothing Is Outside“ bezog – andere Menschen und Lebewesen seien nichts Äußeres, sondern gehörten mit zum Inneren.
Die Darbietung, die auch als eine Intervention bezeichnet wurde, litt darunter, dass die Lautsprecher für die anderen Programmpunkte in eine andere Richtung wiesen und weiter hinten wenig zu verstehen oder zu erkennen war. Sie wirkte zudem von Seiten des Künstlers, der viele Handgriffe auszuführen und einiges zu sagen hatte, nicht sehr souverän durchgeführt. Er veranstaltete wohl bewusst keine „Show“, die Aufmerksamkeit an sich zieht, sondern demonstrierte lediglich Konzepte. Doch das junge Publikum hatte zu einem überwiegenden Teil nicht die nötige Geduld mitgebracht. Den ganzen Abend über konkurrierte das Soziale mit dem Künstlerischen, dem eine Moderation geholfen hätte. Ein Besucher, der aus Schweden angereist war, äußerte sich enttäuscht von dem in diesem Fall fehlenden Wechselspiel zwischen Performer und Publikum. Die engagierten Musikerinnen Melissa Logan, Leila Akinyi (eine talentierte Rapperin aus Köln) und LaToya Manly-Spain konnten zur Vermittlung einiger grundsätzlicher Ideen zu Kultur und öffentlichem Raum mit Beats vom Laptop immerhin noch die Feierlaune des Freitagabends für sich anzapfen.
Die neue künstlerische Leiterin Madhusree Dutta, Künstlerin aus Mumbai, sprach von der Veranstaltung als Beginn einer aktiven Teilnahme der Akademie am laufenden Kampf gegen die Gentrifizierung, einer „immer dringenderen Aufgabe in der heutigen Welt“. Die Akademie ginge zudem in eine neue zweijährige Phase, in der „Dialoge zwischen lokalen Erfahrungen und internationalen Diskursen und Praktiken“ gefördert und – wie an diesem Abend – „neue Allianzen zwischen öffentlichen Institutionen und der freien Szene“ hergestellt werden sollen. Beschäftigen wolle man sich speziell mit dem Archivieren, mit gefährdeten Kulturorten, Weiterverarbeitung und Kopie sowie Hybridität im Zeichen des heutigen kulturellen und sonstigen Austauschs. Sie bat für die Arbeit der Akademie um dauerhaftes Feedback für „mehr Klarheit und kreativere Interaktionen – mit der Stadt, mit den Bürgern und mit den Nicht-Bürgern“. Sie wolle die Akademie etwas näher „an die Straße“ bringen. Ihrer teilweise akademisch gefassten Rede war allerdings schon akustisch nicht leicht zu folgen, da die Gespräche rundherum Lärm verursachten. Es gab wenig Platz für gute Sicht, und so war es kein Wunder, dass manche sich etwas ausklinkten. Es dürften zwischenzeitlich über 150 Menschen dagewesen sein.
Die Kölner Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach, die sich „unglaublich stolz“ erklärte, Frau Dutta im Namen der Stadt Köln begrüßen zu können, sprach mit Blick auf den Ebertplatz von der Arbeit am neuen Kulturentwicklungsplan, in dem es auch darum ginge, „öffentliche Räume für die Kunst mehr nutzbar zu machen“. Elke Moltrecht, Geschäftsführerein der Akademie, erklärte: „Die Akademie hat sich zum Ziel gesetzt, immer weitere Spielorte in Köln für sich zu finden.“ Man sei auch zuversichtlich, 2019 wieder „in vollem finanziellen Umfang operieren zu können, damit wir die Pläne von Madhusree Dutta auch in Gänze vorstellen können.“ Von Seiten des NRW-Kultusministeriums, das die Akademie fördert, wies Referatsleiterin Andrea Hankeln in Anbetracht der Kritik an der Akademie darauf hin, dass Zusammenarbeit zwischen Städten angesichts der politischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen international wichtig geworden sei („no city is an island“) und zwar besonders auf kultureller Ebene und für NRW, etwa zum Abbau „kultureller Blockaden“. „Sicher kann man in Zukunft das eine oder andere populärer oder auch verständlicher ausdrücken“ – da sei man aber offenkundig auf dem Weg. Die „Mischung aus Kunst und Diskurs“ solle allerdings bestehen bleiben, es seien nunmal „keine einfachen Themen“.
Die Galerien waren den Abend über geöffnet und wurden gut besucht. Außerdem war eine ortsspezifische Installation von MP Gold im nächstgelegenen Blumenbeet zu finden, wo auf Kosmetikspiegeln, in die man hineinblicken durfte, falsche Wimpern aus Post-Its aufgeklebt waren. Zugleich spiegelte sich darin der Ebertplatz, dem die Idee von Kosmetik noch fremd ist.
Der Abend wurde aufgezeichnet. Auf dem Ebertplatz soll vom 18. bis 21. April das junge Kunstfestival „Far Off 2018“ stattfinden.
Nächster Programmpunkt der Akademie: Ausstellungseröffnung „Global Positioning System Not Working“ | Do 19.4. 19 Uhr | Academyspace | www.academycologne.org
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