„Köln ist bunter und oft erfrischend unbedarfter als Berlin, wo man viel schwarz sieht“, sagt Nina Windisch. Wann immer die Kölner Studentin in den letzten beiden Jahren durch die Stadt streifte und ihr Menschen mit unkonventionellem Outfit begegneten, sprach sie sie an und fotografierte sie. Aus den Fotos und kurzen Kommentaren entstand der Blog kleiderköln.de, mit dem die modeinteressierte Geisteswissenschaftlerin auch in die Medien kam. Kürzlich hat die Fotografin den Blog auf Eis gelegt.Der Hauptgrund ist das Ende ihres Germanistikstudiums: „Die wenige freie Zeit, die neben dem Lernen bleibt, verbringe ich lieber mit Menschen, die mir nahe sind, als auf Fremde zuzugehen. Ein weiterer Grund ist, dass sich die Blogosphäre zu einer Maschinerie entwickelt hat, der ich nicht mehr standhalten kann.“ Auch der Kölner Designer Nico Kläber will das Bloggen nun langsamer angehen. Zusammen mit seinen Freunden Sven, Gerrit und Nico hatte er 2006 den Blog cafe-koeln.de ins Leben gerufen. In unregelmäßigen Abständen berichten sie von sonntäglichen Cafébesuchen in Köln und anderswo. Kläber: „Im Vordergrund stehen nicht bestimmte Cafés, sondern unsere Erlebnisse, Gedanken und Gesprächsthemen.“ Im Lauf der Zeit ist so eine Sammlung literarischer Café-Beschreibungen zusammengekommen. Vielleicht passen Blogs, die sich auf ihr Thema einlassen und sich nicht dem Medienhype hingeben, nicht mehr in die Zeit. Für eilige User bietet inzwischen Facebook den diversen Freunden Informationen, wo sich andere Freunde gerade aufhalten und was sie vor Ort tun – zum Beispiel in einem Café . Die „Orte“ werden nicht weiter vorgestellt. Um sie zu finden, genügt ein internetfähiges Handy.
Die meisten Blogs sind denn heute auch mit Facebook verknüpft. Ein kleines Kölner Beispiel: Kürzlich traf sich ein Teil der Kölner Bloggerszene zum Grillen im Rheinpark. „Gesprochen haben wir über Filme, Blogger und Blogs, Programmierung, Vegetarier, Hexenforen und vieles mehr“, erzählt Bloggerin Chaosmacherin, die das Treffen organisiert hat. Mit von der Partie waren etwa Daniel, Inhaber des künstlerisch ambitionierten Blogs kotzendes-einhorn.de („Der Blog für Liebe, Kultur & Revolution in Zeiten der Lethargie“) und die Kölner Studentin Lisa, die in ihrem Blog maoandthewolf.com fantasievoll mit Fotos arbeitet, zu denen sie passende Musik auswählt. Perlen in der rheinischen Bloggerei sind eher selten. Stattdessen gibt es etliche Blogs, die unter „Köln“ firmieren und auf schlichte Weise das Lied der Domstadt singen – mit Postkarten-Idyllen vom Rhein und der Übernahme von Meldungen der Kölner Tagespresse. Demgegenüber widmet sich der freie FC-Blog „Südtribüne“ dem Leben rund um den Ball lebendig, textsicher und meinungsstark. Gerüchte, dass Huub Stevens Trainer Zvonimir Soldo ersetzen, Rainer Calmund FC-Manager und Toni Schumacher Präsident werden sollen, werden augenzwinkernd kommentiert. Lukas Podolski, der jeden zweiten Tag zwei Sätze twittert („Der Sieg war immer drin für uns. Die Stimmung war auch der Wahnsinn.“) hat es schwer, da mitzuhalten.
Blicke hinter die Kulissen
Seit Barack Obama in den USA Wahlkampf im Netz populär gemacht hat, gilt das Bloggen auch bei Kölner Politikern als unverzichtbar. Wenn man es nur richtig macht, kann man seine Anhänger über Kommentare, Fragen, Treffen und Gruppenbildung zur Community formen. Doch das Bloggen und Twittern galt nur für die Zeit des Kommunalwahlkampfs. Danach entschlummerten die Blogs sanft. Die meisten Lokalpolitiker belassen es bei einer Präsenz auf Facebook, wo sie mit vorgefertigtem Material so tun, als hätten sie viele Freunde. Ach ja, auch Rolf Huttanus, Leiter des Kölner OB-Büros, bloggt. Seine Themen sind die weite Welt und das Reisen – nichts, mit dem er Stadt- oder Staatsgeheimnisse verraten könnte. Dafür stellt der Kölner Stadtanzeiger seinen Lesern die Online-Rubrik „Stadtmenschen“ zur Verfügung. Hier können sie selbstbestimmt, aber natürlich unter Aufsicht der Chefredaktion zu beliebigen Themen bloggen. Der bekannteste Blogger des Hauses DuMont Schauberg ist im übrigen Geschäftsführer Konstantin Neven DuMont, der das letzte Weihnachtsfest im Chat mit dem Medienjournalisten und Blogger Stefan Niggemeier verbrachte. Als er dort seine Geschäftspolitik erklären sollte und sich dabei in Widersprüche verrannte, verließ der Verleger die kritische Community. Bloglos ist dagegen koeln.de. Noch vor einiger Zeit ging Chefredakteur Edgar Franzmann mit gutem Beispiel voran und bloggte selbst. Nach dem Ende dieses Blogs sucht man inzwischen bei koeln.de nach einer zündenden Idee.
Angesichts der Formatkommunikation in den sozialen Netzen Facebook, StudiVZ oder Xing scheint der klassische Blog am Ende. Den Aufwand, den ein Blog erfordert, können sich neben den wenigen Privatiers mit genügend Zeit nur Firmen leisten, die ein solches Format zur Außendarstellung finanzieren – als Corporate Blog. Hier reicht die Palette vom Blog des Kölner Hotels Domspitzen bis zum Hochzeits-Blog des Portraitfotografen Niclas Edge. Auch für Kölner Kulturinstitutionen und -betriebe ist der Blog Marketing-Mittel. So lässt etwa die lit.COLOGNE die beiden Blogger „Harry“ und „Guilleaume“ als „Festivalspione“ Blicke hinter die Kulissen werfen. Das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund/Köln hat in diesem Jahr Studenten des BA-Studiengangs Online-Redakteur an der FH Köln bloggen lassen. Die Oper Köln wiederum informierte in einem Blog standesgemäß über ihre China-Reise: Man konzentrierte sich auf die eigene Hochkultur und ließ die gleichzeitig in China herumtollenden Karnevalisten links liegen. Allein beim Comedy-Festival bloggt der Chef noch selbst, und dies das ganze Jahr hindurch. Wann immer Achim Rohde sich über die Kölner Kulturpolitik ärgert, schreibt er einen Verriss.
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