Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
23 24 25 26 27 28 29
30 31 1 2 3 4 5

12.582 Beiträge zu
3.812 Filmen im Forum

Foto: Nathan Dreessen

Verwundet in die Welt

10. Dezember 2021

„Knock Out“ in der JVA Köln-Ossendorf – Bühne 12/21

Am Ende erheben sich 150 Besucher im vollbesetzten Kinosaal der JVA-Ossendorf: Das Publikum zollt 13 jungen Inhaftierten aus der Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf minutenlang Respekt für einen emotionalen Gastauftritt im Rahmen des diesjährigen Sommerblutfestivals. Vorausgegangen sind 90 Minuten Reflexion über Ängste, Mut, Schuld, Vergebung und die Sehnsucht nach einem selbstbestimmten Leben.

Im selbstkonzipierten Stück „Knock Out“ kämpfen die Darsteller gegen ihre Dämonen und für die Befreiung der verschütteten Menschlichkeit. Das Werk unter der Regie von Elisabeth Pleß (unterstützt von Boxtrainer Oliver Winter) offenbart in Monologen, Dialogen sowie musikalischen Einlagen das seelische Befinden der Protagonisten als zum ewigen Kampf Verurteilte, die sich von den Niederschlägen der Realität nicht auszählen lassen dürfen.

Geprägt von innerer und äußerer Zerrissenheit

Das Intonieren eines Gebets, die Rezitation des Briefes einer Mutter an ihren eingesperrten Sohn oder die Interaktion mit dem Publikum (darunter 30 inhaftierte Personen aus der JVA-Köln) intensivieren die Produktion, an der das Team rund drei Monate arbeitete. „Was ist der Mensch?“ lautet eine zentrale Frage im Werk, die das mitunter verschüttete Streben nach Gerechtigkeit, Brüderlichkeit, Gleichheit aufzeigt. Damit greifen die Macher eine Maxime des Genfer Philosophen Jean-Jacques Rousseau auf: „Der Mensch ist von Natur aus gut, ich glaube, es nachgewiesen zu haben“, bilanziert dieser in seiner Betrachtung über jene Spezies, die von innerer und äußerer Zerrissenheit geprägt ist. Von der Geburt an als Verwundete in die Welt gestoßen, suchen die Individuen nach Erlösung und bauen indes Schutzwälle um sich, die nach Zerstörung verlangen. Im Sonnenuntergang der Hoffnungen gleicht der Wütende nicht selten einem Schattenboxer, der verzweifelte K.O.-Schläge gegen das verschwindende Ich ansetzt, doch final selbst fällt. In der Inszenierung hinter Stahltoren, Stacheldraht und Beton erhebt sich wieder und wieder der Wille zur unbedingten Leidensbereitschaft. 

Mit des Menschen zweifelnder wie schwärmender Natur beschenkt, beleuchtet „Knock Out“ verhüllte Umrisse des Daseins als Gefängnis, dem ein steter Wunsch nach Flucht vor der Vergänglichkeit inneliegt. Jene von Gerichten schuldig gesprochenen Väter, Söhne, Brüder und Freunde auf der Bühne, denen die Zeit rückwärts tickend durch die Venen pocht, bilden trotz aller Kampfansagen ein fragil anmutendes Kollektiv, das für seine sensible Performance von den Kölnern zurecht stürmisch gefeiert wird.

Thomas Dahl

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Mufasa: Der König der Löwen

Lesen Sie dazu auch:

Gezielt helfen
Ingrid Hilmes von der Kölner Kämpgen-Stiftung – Spezial 05/24

Queere Revolution?
Das Sommerblut Kulturfestival 2024 in Köln – Prolog 05/24

Für mehr Sichtbarkeit
„Alias“ am Orangerie Theater – Prolog 05/23

Angst als kreativer Faktor
Das Sommerblut Kulturfestival 2023 beschäftigt sich mit Angst – Premiere 05/23

Radikale Empathie
Sommerblut-Kulturfestival – Festival 05/22

„Wenn ihr unsere Welt mitkriegen wollt, dann macht mit!“
Mad Pride am Pfingstmontag als Auto- und Fahrrad-Demo – Interview 05/21

Kultur und Natur
Digitales Sommerblut-Festival ab 7. Mai – Festival 05/21

Alle inklusive
Festival „All In“ von Un-Label in der Alten Feuerwache – Festival 10/20

„Teilhabe von Anfang an“
Initiative X-SÜD will ein inklusives Kunsthaus Kalk – Interview 10/20

Nähe und Abstand
Ausblicke für Ältere und eingeschlossene Jüngere bei Sommerblut 2020 – Festival 05/20

Die Zukunft ist jetzt
Inklusion digital beim Sommerblut Festival – Bühne 05/20

Buntes Überleben
„Youtopia – Eine ÜberLebensPerformance“ bei Sommerblut – Festival 06/19

Bühne.

HINWEIS