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Zwiegespräch bei „Youtopia“ auf dem Sommerblutfestival
Foto: Rebecca Ramlow

Buntes Überleben

09. Juni 2019

„Youtopia – Eine ÜberLebensPerformance“ bei Sommerblut – Festival 06/19

Der Andrang vor der Kunst-Station St. Peter ist groß bei der Premiere von „Youtopia“. Da soll nochmal jemand sagen, junge Menschen blieben Kirchen fern. Nicht ganz zufällig, steht das diesjährige Sommerblut-Festival doch unter dem Oberthema „Glaube“. Dann stürmen junge Darsteller unterschiedlichster Herkunft, Religion und körperlicher sowie geistiger Kondition das Gotteshaus und liefern, der Vielfalt zum Trotz, alle in grauen Klamotten gekleidet und im Gleichschritt laufend, eine beklemmende, beängstigende Tanzperformance. So furchteinflößend wie die Sorgen, die uns ständig plagen. Grund dazu gibt es zu Genüge, werden wir doch vom Klimawandel, von diversen Kriegen und Menschenrechtsverletzungen regelrecht überflutet.


Foto: Sommerblut/Nathan Dreessen

Das Festival stellt deshalb in der von Barbara Wachendorff inszenierten Performance die Frage: Gibt es noch eine Zukunft? Wie können wir die Welt retten? Können wir überhaupt noch an Menschlichkeit glauben? „Wir sind immer zu spät“, flüstern die Laiendarsteller nun bedrohlich, während sie mal Hilfe suchend die Hände in die Höhe strecken, sie dann verängstigt vor ihre Gesichter halten, bevor sie sich einen Kampf liefern. Wie wird er ausgehen? Ist es bereits vorbei?

Sommerblut, das Festival der Multipolarkultur, ist traditionell sehr abwechslungsreich. Auch an diesem Abend wandern alle – ob Beeinträchtigung oder nicht – gemeinsam und integrativ in Form eines Rundganges von Ort zu Ort. So lauscht das Publikum an anderer Stelle einem skurrilen Gespräch eines sich im Trennungsprozess befindlichen Paares, worin es um das Thema „Freiheit“ und den Verzicht auf sie geht. Während die Frau wortwörtlich äußerst unfrei an einem Seil hängt und nur noch fliehen möchte, entgegnet ihr Mann romantischerweise, die Hauptsache sei doch, dass sie funktioniere. Als sie sich von ihm trennen möchte, wird sie charmant als Müll entsorgt. Denn schließlich spurt sie nicht mehr.


Foto: Sommerblut/Nathan Dreessen

Auf diese sehr körperliche Darstellung folgt im Rautenstrauch-Joest-Museum eine unterhaltsame und ironische Rap-Performance. Mit Wortfetzen wie „Kölsche Zigeuner“, „Boogie Woogie“, „AfD“, „Pussypussy“, „Plastikmüll“ und „Raketen“ – tanzt ein Duo gegen AfD und Klimasünder an. So viele schöne Assoziationen in nur wenigen Sätzen gibt es wohl nur selten. Das Faszinierende an Sommerblut ist, dass es auf beinahe überirdische Weise gelingt, sehr unterschiedliche Menschen, die größtenteils Laiendarsteller und Helden des Alltags sind, innerhalb kürzester Zeit zu körperlichen, aber auch geistigen Hochleistungen als Gruppe zu bringen. Ohne dass es aber dabei wirklich um Leistung geht. So ist der Beifall entsprechend groß.

In „Die Stadt: Wir wollen wir leben?“ fassen die jungen Menschen ihre Utopien und Wünsche in Worte und verwandeln sie in Taten: Sie wünschen sich eine Welt ohne Geld. Ohne Häuser und ohne Kriege. Doch geht das überhaupt? Schließlich gibt es doch immer Auseinandersetzungen, wie die Darsteller ernüchtert feststellen, die nun von verschiedenen Kriegsgeschichten aus ihrer Heimat berichten. Passend dazu schließt sich eine beklemmende Tanzperformance an, der der Zuschauer via Kopfhörer und mit Blick durch das Fenster beiwohnen kann. Die an ein Seil gefesselte Tänzerin fordert jenen, ins Ohr flüsternd, dazu auf sich frei zu machen, so er kann. Zu atmen. Seine Wunden zu öffnen. Ihnen Zeit zu lassen.


Foto: Sommerblut/Nathan Dreessen

Den Höhepunkt bildet ein Zwiegespräch in einem abgeschlossenen Raum. Hier gibt es kein Entkommen. Ob der Zuschauer möchte oder nicht, wird Salz auf sein schlechtes Gewissen gestreut mit Sätzen, die schonungslos in sein Gesicht gesprochen werden, während die Schauspieler von Tisch zu Tisch dem Publikum entgegenspringen und es mit Blicken durchbohren. Die Themen: Wie geht Frieden? Warum fahren nicht mehr Menschen mit der Bahn? Machen Maschinen den Menschen überflüssig? Leben wir, um zu arbeiten, oder arbeiten wir, um zu leben? Die Irritation in den ertappten Gesichtern ist groß.

Gibt es noch Hoffnung auf Humanität und auf ein Überleben? Wenn man diese Darstellung, die bunter und integrativer nicht sein könnte, sieht, durchaus. In Form der geballten Energie einer nach Menschlichkeit schreienden und tanzenden jungen bunten Gruppe. Hier heißt es nicht Survival of the fittest, sondern hier überlebt derjenige, der am buntesten und lustigsten ist. Wegen des großen Erfolgs gibt es in Köln eine Zusatzvorstellung am 16. Juni.

„Youtopia – Eine ÜberLebensPerformance“ | R: Barbara Wachendorff | So 9.6. 19 Uhr | Kunst-Station St. Peter | So 16.6. 19 Uhr | Rautenstrauch-Joest-Museum | So 23.6. 18 Uhr | Theater im Ballsaal Bonn | Fr 28.6. 19.30 Uhr | Schlosstheater Moers | www.sommerblut.de

Rebecca Ramlow

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