Maurice Béjart, das ist ein Name, ohne den der Moderne Tanz nicht denkbar wäre. Vor vier Jahren starb der Meister, sein Ballet Lausanne arbeitet weiter unter der künstlerischen Leitung von Gil Roman. Eine schwierige Situation, mit der ja auch das Wuppertaler Tanztheater seit dem Tod von Pina Bausch zu kämpfen hat. Die Tradition als Bürde, aber auch als Inspiration, soll zu einer neuen, vitalen Gestalt finden. Die ganze Bandbreite von den aktuellen Produktionen bis zu den Klassikern brachte das Béjart Ballet Lausanne mit zum Gastspiel in die Kölner Oper.
So gehörte die Eröffnung Gil Romans Choreographie „Aria“ von 2008. Musikalisch setzt sich das Stück aus Phrasen von Johann Sebastian Bach, den insistierenden Rhythmen der Gruppe Nine Inch Nails und der Volksmusik der Inuit zusammen. Dass die Schatten des Meisters noch fast vollständig die Arbeit der Kompanie beherrschen, wurde schnell klar. Béjarts Vorliebe für mythologische Stoffe wird gleich mit einem Stierkopf gehuldigt und die Geschichte von den zwei Naturen, die der Mensch in sich trägt, bleibt auf Schritt und Tritt dem mitunter pathetischen Stil des Franzosen verhaftet. Béjarts Neoklassizismus ist stilprägend, wobei das, was vor 50 Jahren revolutionär war, inzwischen unübersehbar altmodisch wirkt. Auch heute kann man mit Spitze tanzen und dabei Erotik und ausdrucksstarken Gegenwartsbezug herstellen, das haben noch vor ein paar Tagen die Italiener des Aterballetto bei ihrem Gastspiel im Kölner Schauspiel gezeigt. Béjarts Ballet Lausanne zieht sich jedoch auf die Perfektion seiner Technik zurück, die bei Aria fein zelebriert wird, im folgenden „Feuervogel“ allerdings bei etlichen Wacklern dahin schmolz. Zu den Trümpfen der Gastspielreihe in Köln zählt der Blick in die Historie des Tanzes, deshalb darf Béjarts Juwel „L'Oiseau de Feu“ nicht fehlen. Leider verlieren die Edelsteine von gestern ihren Glanz, wenn sie nicht poliert werden. Ohne Schärfe in der Gestik und vor allem ohne Aggressivität in den Sprüngen begegnet die Truppe Igor Strawinskys Komposition. Das bleibt nicht ohne Folgen. Die Musik dominiert auf eine Weise, dass die Tänzer der Wucht der Klänge nur noch hinterher hasten.
Mit Béjart wurde der männliche Part des Tanzes bedeutsamer, für ihn waren die Männer nicht bloß nützliche Statisten, die den Glanz der Ballerina untermalten. Eine wichtige Errungenschaft, die sich für die Ästhetik der Kompanie allerdings zur Bürde entwickelt hat. Man setzt nicht auf Ausdruck, sondern auf Technik. Die Tänzerinnen bleiben in „Aria“ auf ihren Nymphen-Charme beschränkt. Im „Balero“ ̶ den einstmals Béjarts Lebenspartner Jorge Donn tanzte - wird Solistin Elisabet Ros zu einer androgynen Gestalt heruntergeschminkt. Gleichwohl gelingt mit der Präsentation der legendären Choreographie von 1961 ein fulminanter Schlusspunkt. Auch heute noch imponiert die abstrakte, konzentrierte Ästhetik mit der Béjart die Komposition von Ravel in glühende Energie taucht. Das Publikum vermochte darauf nur noch mit einer Standing Ovation zu reagieren.
Béjart Ballet Lausanne
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