Kabarettist Jürgen Becker tourt aktuell mit drei Programmen. Im Interview spricht er über das neueste, „Deine Disco – Geschichte in Scheiben“, seinen Umgang mit Hass und die Möglichkeiten von Kunst in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung.
choices: Herr Becker, bitte kommentieren Sie einige Wörter. Erstens: Mensch
Jürgen Becker: Das erinnert mich an ein Kunstwerk von Joseph Beuys. Der hat das Wort „Mensch“ in weiß auf eine schwarze Tafel geschrieben. Das empfand ich als sehr aussagekräftig.
Zweitens: Tod
Da denke ich an Woody Allen. Der hat gesagt, „Sterben will ich nicht. Ich sehe keinen Sinn darin.“ Mir wäre es ebenfalls recht, wenn der Tod sehr spät käme, weil das Leben so schön ist. Ich war zu oft auf Beerdigungen in letzter Zeit.
Drittens: Kunst
Finde ich extrem wichtig. Deshalb habe ich auch die Musik in meinem neuen Program „Deine Disco“ verankert. Joseph Beuys hat auf die Frage „Kann man mit Kunst die Welt verändern?“ gesagt: „Nur mit Kunst!“ Die Kunst kann zwar keine Gesetze machen, doch sie kann uns emotional mitnehmen.
Sie touren aktuell mit drei Programmen („Deine Disco – Geschichte in Scheiben“, „Die Ursache liegt in der Zukunft“, „Das Ende des Kapitalismus – und dann?“, Anm. d. Red.). Ist das der persönlichen Abwechslung oder der Wirtschaftlichkeit als Künstler geschuldet?
Ich schrieb „Deine Disco“, um es wie ein Discjockey zu präsentieren. Es geht darum, Emotionen mit der Musik zu verstärken, so wie ich früher Radiosendungen gehört habe. Diesen Spirit wollte ich ins Kabarett holen. Und die älteren Programme waren einfach noch nicht abgespielt. Das ist auch gut für die Birne, weil man sich dauernd umstellen muss. Ich arbeite zurzeit an einem neuen Programm, in dem ich die Flüsse der Erde mit Musik verbinden will, darin wird dann Weltmusik eine tragende Rolle spielen.
Die Wohlstandsgesellschaft begegnet Umweltkrisen und antidemokratischen Strömungen – bis auf zeitlich begrenzte Aktionen – oftmals mit schwarzem Humor oder Gleichgültigkeit. Amüsieren wir uns zu Tode oder können wir auch den humanistischen Aufstand bis zum Ende?
Ja. Das können wir. Wir Satiriker haben uns immer gerne die Politiker:innen vorgenommen. Das würde ich heute nicht mehr so machen. Wir müssen uns von der Attitüde verabschieden, gegen die Gesellschaft zu arbeiten. Wir müssen sie viel mehr verteidigen. Das ist schwerer, aber es geht. Ich mache keine Witze über die Ampel oder Scholz. In Bezug auf die Proteste gegen Rechts werden wir sehen, wie es weiter geht. In Köln heißt es ja zum Beispiel: „Arsch huh, Zäng ussenander.“ Jetzt müssen wir darauf achten, dass der Arsch oben bleibt. Das ist die Kunst. Die Veranstalter von Demonstrationen müssen überlegen, wie neue Impulse geschaffen werden, damit die Leute bei der Stange bleiben. Ich fände die Idee gut, dass Kölner, Düsseldorfer und Bonner zusammenkommen, anstatt das auf die einzelnen Städte zu konzentrieren, etwa im Bonner Hofgarten. Aber um nochmal auf die Heiterkeit zurückzukommen: Lachen ist ein Reflex und gesund für die Psyche.
Über was oder wen haben Sie zuletzt unüberhörbar gelacht?
Gerade eben, bei einer Unterhaltung mit der Reinigungskraft – eine richtig kölsche Type. Ich trinke mit ihr immer einen Kaffee. Sie hat mir etwas sehr lustiges erzählt. Das ist aber privat.
Der Philosoph, Buchautor und Publizist Michel Friedmann sagte in Bezug zum Antisemitismus, er hasse niemanden, auch nicht Rassisten. Wie gehen Sie mit Hass um?
Leute schreiben mir mitunter, dass sie mich umbringen wollen. Daran habe ich mich schon gewöhnt. Anstatt mit Gegenhass zu antworten, klicke ich das weg oder bemühe mich, auf solche Reaktionen mit Gegenargumenten zu antworten. Michel Friedmann hat vollkommen recht, wenn er Hass als Gift bezeichnet. Da, wo ich kann, werde ich andere demokratische Kräfte unterstützen, zum Beispiel das Netzwerk Correctiv, auf das nach den Enthüllungen über das Geheimtreffen von Rechtspopulisten im Landhaus Adlon jetzt Prozesse und Anwaltskosten zukommen.
Sie schreiben in ihrem Programm „Deine Disco – Geschichte in Scheiben“: „Ohne die bahnbrechende Erfindung der E-Gitarre wäre die Geschichte anders verlaufen.“ Wie denn?
Es wäre nicht dieser Sound entstanden, der uns getragen und Resonanz erzeugt hat. Das war vollkommen anders als die Musik der Eltern. Jimi Hendrix hat mit seinem „Star-Stangled Banner“ ein revolutionäres Gefühl gegen den Vietnamkrieg geschaffen. Das hätte man mit einer Bratsche nicht hinbekommen.
Welche Songs bekommt das Publikum in Ihrer Disco zu hören?
„Deine Disco“ umfasst 90 Einspieler, unter anderem Pink Floyds „The Dark Side Of The Moon“ und Soffie mit „Für immer Frühling“. Ich spiele aber auch Heino.
Sie sagen, die Klimabewegung stünde ohne eigenen Sound dar. Da fallen mir die dystopischen Klanglandschaften von Tangerine Dream ein. Aber die sind vermutlich nicht laut genug. Liege ich richtig in der Annahme, dass Sie mehr Lärm, das heißt, mehr Erschütterung wollen? Da böten sich die berstenden Gitarren-Feedbacks von Neil Young & Crazy Horse an.
Klar. Aber es braucht auch junge Künstler:innen, die ihre Generation erreichen. Ich erinnere mich an eine Einladung von Fridays for Future, über die ich mich als älterer Mensch sehr gefreut habe. Es gab dort zwar gute Reden, aber keine Musik. Das geht nicht. Man braucht einen Sound. Ein zeitloser Song wäre „Fragile“ von Sting.
Erinnern Sie sich an das erste Album, das Sie gekauft haben?
„Sgt. Peppers“ von den Beatles. Das höre ich auch heute noch.
Wie konsumieren Sie Musik?
Ich habe einen alten Plattenspieler, höre aber auch Songs über Spotify. Ich finde beides gut. Die Musiker müssten aber besser bezahlt werden.
Wie musikalisch sind Sie selbst?
Ich habe mal eine Platte, „Jürgen Becker darf nicht singen“, gemacht. Die gibt es noch im Internet. Dazu gab es dann noch den Song „Ich bin so froh, dass ich nicht evangelisch bin“ (mit Norbert Alich, Anm. d. Red.)
Sie beziehen sich auch auf Joseph Beuys, der Lösungsansätze für die globalen Probleme ausschließlich in der Kunst sah. Mir ist bewusst, dass ich mich mit einem Satiriker unterhalte – aber teilen Sie diese Auffassung als Privatmensch?
Die Politik ist wichtig. Wir verhandeln hier Spielregeln. Das kann die Kunst nicht. Das muss die Politik übernehmen. Aber die Künste können Stimmungen in der Bevölkerung erzeugen.
Haben Sie je mit dem Gedanken gespielt, selbst in die Politik zu gehen?
Ja. Ich glaube aber, dass ich das nicht so gut kann, denn das überschneidet sich mit meinem Beruf. Wenn die politischen Treffen stattfinden, stehe ich meistens auf der Bühne.
Gehen wir zurück an den Anfang. Kommentieren Sie bitte einige Wörter. Erstens: Jürgen Becker
Ein Schriftsteller. Er hat den Georg-Büchner-Preis bekommen. Er war lange beim Deutschlandfunk Hörspielchef. Als ich anfing, Kabarett zu machen, hat mich Becker zu sich gebeten und mir gesagt, ich solle einen Künstlernamen annehmen. Ihm war es nicht recht, dass ich den gleichen Namen hatte. Sein Sohn ist übrigens Boris Becker. Der erfolgreiche Fotograf, nicht der Tennisspieler.
Zweitens: Sahra Wagenknecht
Ich bin gespannt auf das, was sie mit der neuen Partei anstrebt. Bis jetzt habe ich den Eindruck, es wird eine AfD mit 30 Prozent weniger Hitler. Aber man soll nicht zu früh urteilen. Bis jetzt gibt es noch kein öffentliches Parteiprogramm (Stand: 20.2.24, Anm. d. Red.). Aber man muss Wagenknecht zugutehalten, dass sie die Arbeit auf sich nimmt. Ich werde sie nicht wählen. Ich sehe Russland viel kritischer und ich bin nicht gewillt, Putin positive Seiten abzugewinnen.
Drittens: „Schäl“
Der Mitspieler des „Tünnes“ aus dem Hänneschen Theater. Das sind die zwei Seelen, die jeder in seiner Brust trägt: Den Verstandesmenschen, der verschlagen und rational handelt. Tünnes ist dagegen eher trieborientiert und macht, worauf er Lust hat. Das ist ein tolles Puppenpaar. Keiner von uns ist ganz Schäl und keiner ganz Tünnes, aber jeder ein wenig von beiden.
Jürgen Becker: Deine Disco – Geschichte in Scheiben | Theater am Tanzbrunnen, Köln | 13.4. | Ebertbad Oberhausen | 21.4. | Kom(m)ödchen, Düsseldorf | 29., 30.4. | Weitere Programme und Termine unter: www.juergen-becker-kabarettist.de
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