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Ohne Modernisierung haben auch Traditionen keine Überlebenschance
Foto: BEGY Production / fotolia

„Ich würde nie behaupten, die ultimative Wahrheit zu kennen“

28. Mai 2015

Die Kölner Imamin Rabeya Müller über einen liberalen Islam – Thema 06/15 Meine Moschee

choices: Frau Müller, Sie sind vor fast 40 Jahren zum Islam konvertiert. Wie kam es dazu?
Rabeya Müller: Ich bin in einem christlichen Haushalt aufgewachsen und habe mich ab der Oberstufe viel mit verschiedenen Glaubensrichtungen und Lebensentwürfen beschäftigt. Zu dieser Zeit habe ich angefangen mich zu fragen: Welche Religion passt am besten zu mir? Im Islam habe ich die meisten meiner Vorstellungen wiedergefunden und habe mich schließlich dazu bekannt. Es war also eine ganz unromantische Kopfentscheidung.

Was genau hat Sie am Islam fasziniert?

Rabeya Müller

Foto: Privat

Rabeya Müller (58) ist Islamwissenschaftlerin und Imamin einer kleinen muslimischen Gemeinde in der Südstadt. Sie engagiert sich für eine tolerante Auslegung des Islam und den interreligiösen Dialog


Die unmittelbare Verantwortung vor Gott sowie das Prinzip der Wiedergutmachung und das Zusammenspiel von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.

Mittlerweile leben Sie nicht nur als gläubige Muslimin, sondern beten auch in einer kleinen Gemeinde in Köln vor. Dürfen das nicht eigentlich nur Männer?
Nein. Der Vorbeter wird eigentlich von der Gemeinde bestimmt. Das ist also ein sehr basisdemokratischer Akt. Ob ein Mann oder eine Frau das Gebet leitet, ist gar nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass die Gemeinde auch mental hinter dieser Person steht. Ist das nicht oder nicht mehr der Fall, hat die Gemeinde das Recht, den Imam oder die Imamin auch wieder abzuwählen.

Wird denn dieses basisdemokratische Prinzip in Deutschland gelebt?
Das ist unterschiedlich. Ich wurde von meiner Gemeinde gefragt, ob ich das Gebet abwechselnd mit einer anderen Person leiten möchte. Viele praktizieren aber eine andere Variante. So werden in den meisten Gemeinden die Imame „von oben“ eingesetzt. Und das sind grundsätzlich Männer.

In welcher Gemeinde sind Sie tätig?
Ich bin Teil der Muslimischen Gemeinde Rheinland, die durch den Liberal Islamischen Bund getragen wird. Da es uns erst seit zwei Jahren gibt, sind wir noch eine recht kleine Gemeinde ohne eigene Räumlichkeiten. Wir dürfen aber die Räume der Lutherkirche in der Südstadt mitnutzen. Dafür sind wir in mehrfacher Hinsicht sehr dankbar. Zum einen können wir dort Gottesdienste feiern und verschiedene Zusatzangebote organisieren, wie etwa Eheschließungen oder Seelsorge. Zum anderen veranstalten wir gemeinsam mit der Luthergemeinde regelmäßig interreligiöse Aktionen mit Muslimen, Christen, Juden und anderen Gläubigen, die immer zu sehr spannenden Diskussionen führen.

Wer finanziert das?
Wir sind ein eingetragener Verein und erhalten daher Mitgliedsbeiträge. Außerdem bekommen wir natürlich Spenden. Für eine Bezahlung der Mitarbeiter reicht das aber nicht. Mein Co-Imam, ich und andere Helfer arbeiten alle ehrenamtlich.

Was gehört neben dem Vorbeten noch zu Ihren Aufgaben?
Ich bin vor allem in der Seelsorge tätig. Es gibt sehr viele junge Menschen, besonders Frauen, die Beratung suchen. Häufig ringen sie mit ihrer Situation und ihrer Religion und fragen sich, wie sie den Spagat zwischen traditionellen muslimischen Werten und ihrem aktuellen Leben schaffen können. Wir führen dann – teils persönlich, teils telefonisch – mehrere, oft sehr intensive Gespräche miteinander. Dabei können und wollen wir aber keine Generallösung anbieten. Aber ich kann den Musliminnen und Muslimen erklären, dass der Islam ein sehr breites Spektrum bietet und dass jede Person die Entscheidung selbst treffen muss, wie sie die Elemente des Islam im eigenen Leben umsetzen kann und möchte.

Wünschen sich manche Personen von Ihnen eine Einschätzung, was richtig und was falsch ist?
Ja, manche erwarten das von mir. Und natürlich ist es auch viel einfacher, die Verantwortung abzugeben und den Imam zu bitten: Sag mir, wie ich ein gutes Leben führen muss. Aber der Prophet hat einmal gesagt: „In der Vielfalt der Meinungen meiner Gemeinschaft liegt ein Segen Gottes.“ Daher würde ich nie behaupten, die ultimative Wahrheit zu kennen. Ich biete den Menschen, die mit Fragen zu mir kommen, eine Orientierung. Doch entscheiden müssen sie selbst. Denn Gott fordert von uns, Verantwortung zu übernehmen und dann auch mit unseren Entscheidungen zu leben.

Sehen andere Imame das genauso?
In unserer Gemeinde und im ganzen Liberal Islamischen Bund sind wir uns diesbezüglich sehr einig. Wir diskutieren auch oft und leidenschaftlich über diverse Themen und niemand spricht dabei dem anderen das Muslim-Sein ab. Das ist ganz wichtig. Doch einige Verbände stehen solch liberalen Auslegungen nicht so offen gegenüber. Zwar gibt es aus dieser Ecke wenig öffentliche Kritik an unserer Arbeit. Aber die etablierten Verbände treten auch in keine öffentliche Diskussion ein.

Würden Sie sich denn eine öffentliche Diskussion über die Werte des Islam wünschen?
Unbedingt. Es geht ja nicht darum, den Islam schlecht zu machen. Im Gegenteil. Es geht uns um eine zeitgemäße und tolerante Auslegung des Islam, der alle Menschen als gleichberechtigt ansieht und der offen ist für den interreligiösen Dialog. Was ich teilweise an Kommentaren in sozialen Netzwerken von Muslimen gegenüber anderen Muslimen lese, macht mir wirklich Angst. Dem könnten wir als Gruppe verschiedener muslimischer Verbände einiges entgegensetzen und deutlich machen, dass wir keine Extremisten oder Demokratiehasser sind, aber eine solche Ausdrucksweise aus islamischen Gesichtspunkten ablehnen. Dafür gibt es im Übrigen auch genug Beispiele im Koran und in der Sunna, also der Lebensweise des Propheten Muhammad. So hat dieser einmal gesagt – und das finde ich eine besonders schöne Stelle: „Ein guter Muslim ist jemand, vor dessen Hand und vor dessen Zunge die Menschen sicher sind.“

Was erhoffen Sie sich für die zukünftige Zusammenarbeit mit anderen muslimischen Verbänden?
Toleranz, Respekt und Geduld. Und die Möglichkeit, über die Schwierigkeiten junger Musliminnen und Muslime offen und ohne Vorbehalte zu sprechen. Wir können nur dann gemeinsam etwas bewirken, wenn für alle Beteiligten klar ist, dass eine andere Meinung keinen Abfall vom Glauben bedeutet.

Lesen Sie weitere Artikel zum Thema auch unter trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema

Interview: Marina Engler

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