Freitag, 12. Januar: Zur ersten Kölner Filmpremiere des noch jungen neuen Jahres lud Joachim Kühn vom Kölner Filmverleih RealFiction mit Peter Otts Film „Das Milan-Protokoll“ ins Filmforum am Dom ein. Der z.T. in den Kölner MMC-Studios und an Originalschauplätzen im Nordirak gedrehte Entführungsthriller hatte bereits im vergangenen Herbst bei einigen Festivalaufführungen für Furore gesorgt. Neben etlichen Mitgliedern aus der technischen Crew waren neben Regisseur Ott auch die Hauptdarstellerin Catrin Striebeck sowie die Nachwuchs-Schauspieler Samy Abdel Fattah und Henriette Nagel bei der Premiere in Köln zu Gast. Ott erzählte zunächst von den ungewöhnlichen Begleitumständen, unter denen sein Film entstanden sei. In den Kurden-Gebieten des Nordiraks und Syriens hätten sie an Stellen gedreht, die noch ein Jahr zuvor unter der Vorherrschaft des „Islamischen Staates“ (IS) gestanden hätten. Viele Stabmitglieder hätten aus Gründen der Effizienz gleich mehrere Funktionen im Team übernommen. Nicht alle Beteiligten, die Ott gerne bei der Premiere des Films dabeigehabt hätte, schafften es rechtzeitig. Denn durch die deutschen Behörden durften nicht alle rechtzeitig aus dem umkämpften Gebiet ausreisen.
So musste sich der Regisseur bei der Kölner Premiere mit Darstellern begnügen, die ohnehin in Deutschland leben, und auf die Anwesenheit seiner Stars aus dem arabischen Raum verzichten. Diese Tatsache unterstreicht noch einmal die Brisanz und Aktualität der Ereignisse, die in „Das Milan-Protokoll“ geschildert werden, in dem eine deutsche Ärztin in Syrien in Gefangenschaft eines kurdischen Stammes gerät. Catrin Striebeck erzählte in Köln: „Mein Wissen über die Ereignisse dort waren lediglich aus den deutschen Nachrichten gespeist, also ein Teilwissen. Als die Finanzierung des Films auf der Kippe stand, hoffte ich ein wenig, dass er gar nicht zustande kommt, weil ich Skrupel hatte, vor Ort zu drehen.“ Ein wenig hätte sie aufgrund des dokumentarischen Werdegangs von Regisseur Peter Ott sogar damit gerechnet, dass er es riskieren würde, dass beim Dreh etwas passiert, um einen spannenderen Film zustande zu bekommen. Obwohl sich Striebeck vertraglich erbeten hatte, nicht direkt an der syrisch-irakischen Grenze zu drehen, war sie am Ende doch froh, Teil des Projekts gewesen zu sein. „Es war für mich sehr bereichernd, mich mit der Sprache und der Religion beschäftigt zu haben und die Leute vor Ort kennenlernen zu dürfen“, so die Schauspielerin weiter. In einem zweimonatigen Crashkurs hatte sie mit einem Sprachcoach ihren arabischen Text gelernt, wesentlich schwerer hingegen fiel ihr dagegen das Erlernen des nicht unerheblichen kurdischen Dialogs, den sie im Film spricht. „Am Ende konnte ich nur meine phonetisch auswendig gelernten Dialoge, was ich sehr schade fand, weil ich mich mit meinen ausländischen Kollegen außerhalb des Spiels nicht wirklich viel auseinandersetzen konnte“, ergänzte Catrin Striebeck.
Von den arabischen Dialogen verstand der deutsche Nachwuchsschauspieler Samy Abdel Fattah („Ich gehöre ihm – Loverboy“) immerhin ein bisschen. Aber auch bei ihm gab es zunächst Vorbehalte zum Film: „Meine Eltern fanden es nicht so gut, dass ich in den Irak fliege. Sie hatten Angst um mich.“ Vor Ort hatte Abdel Fattah dann aber, wie alle Anwesenden bei der Premiere, einen „irren Spaß“. Die ernsten Hintergründe des Projekts waren Regisseur Peter Ott aber durchaus bewusst, da er seit 2007 mehrere Male in den Irak geflogen ist. In umfangreichen Gesprächen mit Menschen vor Ort waren in Otts Drehbuch auch Einzelheiten aus tatsächlichen Begebenheiten eingeflossen, weswegen sein Film im weiteren Sinne auf Tatsachen basiert. Verleiher Joachim Kühn merkte an, dass die Titel gebenden „Milan-Raketen“ aus Deutschland mittlerweile durch komplexe Waffenschiebereien auf beiden Seiten der Fronten im Einsatz wären. Dazu ergänzte Peter Ott, dass der IS mit in Mossul erbeuteten US-Waffen den Vorstoß in weitere Gebiete durchführen wollte, was die Kurden dank der Abwehrraketen aus Deutschland weitgehend verhindern konnten. „Ich bin eigentlich gegen Waffenlieferungen in Krisengebiete, aber in diesem Fall ging das nicht anders. Viele Kurden sind den Deutschen deswegen sehr dankbar“, führte der Regisseur weiter aus. Die ziemlich undurchschaubare und sich ständig verändernde Situation im Nordirak findet sich ein Stückweit auch in Peter Otts Film wieder, der sich bei der Inszenierung bewusst dagegen entschieden hatte, zu viele Erklärungen zu liefern. „Was man nicht versteht, kann man ja hinterher googeln“, riet er mit einem verschmitzten Lächeln. Auch Catrin Striebeck meint: „Wenn man glaubt, etwas an der Situation verstanden zu haben, ist schon wieder alles anders. Und heute könnten wir an den gleichen Drehorten nicht mehr arbeiten“. „Das Milan-Protokoll“, von seinem Regisseur als „Arthouse-Agentenfilm“ bezeichnet, ist ab dem 18. Januar bundesweit in den Kinos zu sehen.
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