Die Industrie hat das Potenzial der Menschen, die die Sehnsucht nach einer besseren, gerechteren, saubereren Welt in sich tragen schon lange erkannt. Und was hat es nicht schon alles gegeben? Bier trinken für den Erhalt des Regenwalds, Brot essen für die Dritte Welt, das Sozialbankkonto für die Krötenwanderung. Wir kaufen fair ein, leben bio und fahren öko. Die Fassade des neuen Konsumbewusstseins ist schick, doch der Putz ist nicht nachhaltig und bröckelt. Hinter den Rissen sehen wir – wenn wir denn hinschauen und ehrlich sind – ganz deutlich die alte schmutzige Konsumwirtschaft.
Die Sehnsucht der Menschen ist von der Industrie einfach bedient, denn die Konsumenten fordern ja bloß saubere Produkte statt einen ökologischen Kreislauf. Das liegt auch daran, dass der einst als alternativ konzipierte Lebensstil der sogenannten Lohas (Life of Health and Sustainability = gesunder und nachhaltiger Lebensstil) schon lange eine hippe Modeerscheinung ist. Der ethisch-ökologisch korrekte Lebenswandel ist selbst Produkt und Konsumgut.
Images, die für eine diffuse Sehnsuchtsbedienung stehen, sind alles. Selbst die grünen Vorreiter sind mittlerweile Zeitgeist-Opportunisten, die subtil das postindustrielle Produkt Gesinnung verkaufen. Es läuft, wie an der Fleischtheke: Ein paar Gramm Askese hier, ein halbes Pfund Hedonismus da, ein paar Scheibchen links-alternativ und – darf’s noch etwas mehr sein? Ja gerne! – noch ein Schälchen Werteverbundenheit. Dass so keine Probleme gelöst, kein ökologischer Fußabdruck je kleiner werden wird, ist Resultat einer brutalen Vereinfachung des Problembewusstseins: Tut dieses, kauft jenes, und die Welt wird ein Stückchen besser. Es wäre wirklich schön, wenn wir uns die Welt gut konsumieren könnten.
Aber dann, wenn es drauf ankäme, beispielsweise bei Wahlen, lassen wir es lieber bleiben, uns ernsthaft den Problemen der heutigen Zeit zu stellen und Konsequenzen zu ziehen. Wenn es auch nur ein bisschen Richtung Lebensstilwandel geht, wenn auch nur die schwachsinnigste Gewohnheit aufgegeben und ein bisschen Verzicht geübt werden soll, drehen die wichtigsten Meinungsakteure gleich durch. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit, den Wahlkampf zur Bundestagswahl 2013, macht es deutlich. Als die Grünen damals einen(!) Veggie-Day pro Woche in öffentlichen Kantinen forderten, brach gleich eine „Ökodiktatur“-Debatte aus. Von den Schlagzeilen der Bild bis ins Feuilleton von FAZ und Zeit war der Aufschrei über den Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte riesig groß und krawallig zugleich. Die Grünen holten sich eine blutige Nase in Form eines schlechten Wahlergebnisses und gleich war klar: Die Eroberung gesellschaftlicher Mehrheiten für eine Politik des etwas weniger idiotischen Wirtschaftens wird damit nicht einfacher werden. Der gerade vergangene Wahlkampf bestätigt den Eindruck nur. Alles, was irgendwie auch nur im Verdacht stand in Richtung Umwelt bevormundend zu wirken, wurde aus dem Wahlprogramm entsorgt oder gar nicht erst aufgenommen.
Diese demütige Haltung ist aber grundfalsch. Sie bestätigt nur die Medien-Mär, wonach im Vergleich mit anderen gesellschaftlichen Kräften, die ökologisch Orientierten mit Abstand die größten Spaßbremsen seien. Empirisch ist das natürlich vollkommener Blödsinn. In Gesetze gegossene Ver- und Gebote gehören zum Handwerkszeug aller deutschen Parteien und Lobbys. Im Bereich Denkmalschutz, Brandschutz oder Gesundheitsschutz können diese weit in die individuelle Freiheit (z.B. Rauchen) eingreifen, was von der deutschen Gesellschaft breit akzeptiert wird. Auch ökologische Verbote sind natürlich akzeptiert, geht es beispielsweise um das Verbot, seinen alten Kühlschrank im Wald abzustellen oder den Ölwechsel über einem Gully zu machen. Niemand käme auf die Idee, diese Einschnitte in individuelle Freiheitsrechte seien unzumutbar.
Es kommt in Deutschland bei Ge- und Verboten eher darauf an, welcher Bevölkerungsgruppe ein Verbot droht, und ob diese zu den Meinungsmachern gehört. Wird Hartz-IV-Empfängern beispielsweise verboten, die wichtigen Ersparnisse zu behalten, bleiben Bild und bürgerliches Feuilleton still. Dann spricht man lieber von der Bringschuld des Einzelnen statt vom Kontrollwahn des Staates. Geht es aber um das Verbot der Glühbirne im schicken Altbau, schwingt sogleich die Öko-Diktatur Keule.
Sorry, lieber Regenwald, aber so viel Bigotterie kann man sich gar nicht schön saufen.
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