
Als Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) Anfang September ankündigte, die Beitragsbemessungsgrenze bei der Rentenversicherung ab Januar 2026 anzuheben, entdeckte der Zeitungsboulevard mal wieder sein angebliches Herz für die hart arbeitende Bevölkerung. Die würde nämlich mal wieder geschröpft, um einen Sozialstaat zu finanzieren, den „wir“ uns – laut Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) – nicht mehr leisten könnten. So wurde mächtig Stimmung gemacht von Springers Bild gegen „Bas’ Kostenhammer“ und für „Reformen“ (also Leistungskürzungen), um den Sozialstaat „schlanker“ (also ineffektiver und nutzloser) zu machen.
Erfrischende Wortwahl
Dass „wir“ uns den Sozialstaat nicht mehr leisten können, ist Unsinn. Darum war es auch so erfrischend, dass Bas das Merzsche Mantra auf einem Juso-Parteitag in Gelsenkirchen als „Bullshit“ bezeichnete. Denn für Beschäftigte, die bereits in die Sozialversicherung einzahlen, ändert sich gar nichts mit der Erhöhung der Bemessungsgrenze. Eine Tatsache, die nicht nur von Bild & Co., sondern auch von seriöseren Medien geflissentlich unter den Teppich gekehrt wurde. Warum? Ganz einfach: Um das Gros der Beschäftigten, von der Reinigungskraft über die Verkäuferin und den angestellten Automechaniker bis zum Busfahrer, für die Interessen von Besser- und Spitzenverdienern einzuspannen.
Erzielen vs verdienen
Dabei bedeutet die von Bas angekündigte Erhöhung nichts anderes, als dass die Basis derjenigen verbreitert wird, die in die Rentenversicherung einzahlen – und zwar mit Leuten, die Spitzengehälter „erzielen“; um das in diesem Zusammenhang überspannte Verb „verdienen“ zu vermeiden. Für die Rentenversicherung bedeutet das, dass ab dem 1. Januar 2026 nicht mehr „nur“ Lohn und Gehalt bis 8.050, sondern bis 8.450 Euro monatlich herangezogen werden. Jeder Euro darüber bleibt weiterhin beitragsfrei.
Solidarität zu Ende gedacht
Die Erhöhung der Bemessungsgrenze ist zu begrüßen. Allerdings ist es nicht einzusehen, warum überhaupt eine Kappung stattfindet. Warum sollte „Solidarität überhaupt an jener Stelle (enden), an der sie beginnt Spaß zu machen?“, wie der Kölner Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge jüngst in der Tageszeitung junge Welt fragte. Denn wer ein Monatseinkommen von 8.450 Euro hat, ist sozial abgesichert; das Statistische Bundesamt zählte 2024 Einkommen ab einem Monatsbrutto von 5.500 Euro zu den 30 Prozent der Bestverdiener. Warum können die nicht dazu beitragen, dass auch eine Verkäuferin und ein Pfleger im Alter gleichfalls eine auskömmliche Rente erhalten? Schließlich verdienen diese viel weniger, leisten aber nicht selten viel mehr für die Gesellschaft.
Siehe Grundgesetz
Hinzu kommt, ganze Berufsgruppen, Beamte, Politiker und Selbstständige, zahlen trotz meist hoher Bezüge und Einkommen nicht in die gesetzliche Rentenkasse ein. Zudem werden aus der Rentenversicherung regelmäßig versicherungsfremde Leistungen finanziert, wie die Mütterrente der CSU, die als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe allgemein durch Steuern zu finanzieren wären, nicht durch Rentenbeiträge. Und wieso werden leistungslose Kapitaleinkünfte, die eh nur pauschal mit 25 Prozent besteuert werden, nicht auch zur Finanzierung des Sozialstaats herangezogen? Es ist wirklich nicht zu verstehen, warum dieses Land meint, es sich leisten zu können, dass die stärksten Schultern weniger tragen, als sie könnten. Dem grundgesetzlich verankerten Sozialstaatsprinzip (Artikel 20), wonach der Staat verpflichtet ist, für soziale Gerechtigkeit und Sicherheit seiner Bürger zu sorgen, läuft das alles jedenfalls entgegen.
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