Diesmal droht uns der Untergang nicht durch die Schweinegrippe oder ein polares Sturmtief namens Daisy. Es geht um einen kulturpolitischen Dauerbrenner. Wenn die kommunalen Kulturetats gekürzt werden, wird das furchtbare Folgen nach sich ziehen, verkündet die Kulturlobby zunehmend schriller. Köln zum Beispiel würde dann zu „Knollendorf“ herabsinken, hat der Opernintendant verlauten lassen. Ein Feuilleton- Redakteur des Kölner Stadtanzeigers sieht uns sogar im Nirwana der Geschichte verschwinden: „Und dann schnallen wir uns – Kölner durch und durch – Bärenfelle um, holen die Sackpfeifen heraus und tanzen munter grölend ums Lagerfeuer.“ Getoppt werden die Statements freilich durch den Deutschen Kulturrat, der landauf, landab vor einem „Spar- Tsunami“ warnt, der die Kultur hierzulande hinwegzufegen droht. Das „Seebeben“ habe bereits stattgefunden: „Die Wellen bauen sich auf, und jeder weiß, dass eine Katastrophe naht.“ Bis zum Weihnachtsfest 2004 war der Begriff „Tsunami“ hierzulande unbekannt. Dann überspülte eine gewaltige Flutwelle im fernen Asien Land und Leute. Als das Wasser wieder abgelaufen war, blieben 230.000 tote Menschen zurück, der Sachschaden ging in die Milliarden. Seitdem gilt ein Tsunami hierzulande als größte denkbare Katastrophe. Die Kürzung von Kulturetats mit dem hunderttausendfachen Tod von Menschen zu vergleichen, ist mehr als geschmacklos und moralisch entlarvend. Und nicht nur das. Die aktuelle Ebbe in den öffentlichen Kassen ist keine Naturkatastrophe wie ein Tsunami. Das dafür ursächliche weltweite Finanzdesaster ist von Menschen gemacht. Inzwischen stehen die Steuerzahler für die aufgehäuften Verluste der „systemrelevanten Banken“ gerade, während Banker schon wieder millionenschwere Boni einstreichen.
Das populistische Geschwätz über Tsunami und Steinzeit gefährdet freilich auch seriöse kulturpolitische Bemühungen, mit den Folgen der Krise umzugehen. Die Initiative von Schauspielintendantin Karin Baier etwa, die ein paar Millionen an Baukosten einsparen will. Oder den Vorschlag, vor Ort eine „Kulturtaxe“ einzuführen, um so einen Teil der von CDU und FDP betriebenen Subventionierung der Hotelbranche auf die Kultur umzulenken. Auch sonst täte der Debatte eine Beschäftigung mit Zahlen gut. Die kulturelle Infrastruktur etwa hat sich in NRW seit 1970 verzehnfacht, im Zuge der demografischen Entwicklung wird die hiesige Bevölkerung bald wieder auf den damaligen Stand geschrumpft sein: viel Kultur für immer weniger Leute. Spätestens dann wird deutlich sein, dass es auch für Kulturinstitute Grenzen des Wachstums gibt.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
„Sexualisierte Gewalt kennt keine Uhrzeit“
Lisa Fischer und Hanna Frank von Edelgard über den Neustart des Projekts – Gleich Nebenan 08/25
Das Ende des Weltmarkts?
Online-Vortrag zur deutschen Wirtschaftspolitik – Spezial 07/25
Einig im Unmut, einig im Dissens
Die Debatte der OB-Kandidat:innen über Wohnungspolitik – Spezial 07/25
Fehlende Erinnerung
Zum 21. Jahrestag des NSU-Anschlags an der Keupstraße: Unmut über den verzögerten Bau des Mahnmals – Gleich Nebenan 07/25
Raum für Migrationsgeschichte
Die Pläne für das Aussehen des Kölner Museums Selma – Spezial 06/25
Rebellion gegen Repression
Der 13. Asientag in Köln – Spezial 06/25
„Gründet nicht für Geld“
Wie Kölner Studenten mit KI Anträge auf Sozialleistungen erleichtern wollen – Spezial 05/25
Alte Strukturen überwinden
Der Vortrag „Arbeit Macht Missbrauch“ in Köln – Spezial 04/25
Demokratie braucht Demokraten
„AfD verbieten: Probleme gelöst?“ im NS-Dok – Spezial 03/25
Lücke der Erinnerungskultur
Lesung „ÜberLebenswege“ in Köln – Spezial 03/25
Wie politisch darf Karneval sein?
Auftakt der neuen Talkreihe „Sauerstoff Demokratie“ am Urania Theater – Spezial 02/25
Neue Bündnisse, alte Krisen
Online-Diskussion „Wie weiter nach der Bundestagswahl?“ – Spezial 02/25
Deckeln gegen die Mietbelastung
Online-Diskussion „Sind die Mieten noch zu bremsen?“ – Spezial 01/25
Was erreicht worden ist
Warum Nostalgie auch in die Zukunft weist – Spezial 01/25
Einzelfälle mit Struktur
„Ausgrenzung, Entrechtung, Widerstände“ im Friedensbildungswerk – Spezial 11/24
Wurzeln des Rechtsextremismus
Online-Vortrag „Ist die extreme Rechte noch zu stoppen?“ – Spezial 09/24
Eine Historie des Rassismus
Der Kölner Rom e.V. unterstützt Sinti und Roma – Spezial 07/24
Zeitlose Seelenstifter
„Kulturretter:innen“ im NS-Dok – Spezial 06/24
Die Stimme des Volkes?
Vortrag „Was Populisten wollen“ in Köln – Spezial 06/24
Gezielt helfen
Ingrid Hilmes von der Kölner Kämpgen-Stiftung – Spezial 05/24
Zwangloses Genießen?
Vortrag „Die post-ödipale Gesellschaft“ im Raum für Alle – Spezial 04/24
Stabiler Zusammenhalt
„Der Streitfall“ in der Stadtbibliothek – Spezial 03/24
Der Traum von Demokratie
#Streitkultur mit Michel Friedman am Urania Theater – Spezial 02/24
Narrative der Armut
Christopher Smith Ochoa in der VHS – Spezial 11/23
„Gedenken ist kein rückwärtsgerichtetes Tun“
Seit rund einem Jahr leitet Henning Borggräfe das NS-Dok – Interview 10/23