choices: Herr Dr. Murke, Sie tragen einen berühmten Namen.
Dr. Michael Murke: Sie spielen wahrscheinlich auf meinen verstorbenen Großonkel an. Aber ob der so berühmt ist …
Immerhin war Ihr Großonkel schon mit Themen wie Schweigen und Stille befasst, bevor die digitale Medienflut über uns hereinbrach, vom alltäglichen Lärmpegel ganz zu schweigen.
Das stimmt, aber Anstoß für seine Beschäftigung mit dem Thema war zunächst nicht so sehr der laute, in Dezibel gemessene Krach. Als damaliger WDR-Kulturredakteur konnte er das ewige Gerede über Kunst und Kultur nicht mehr ertragen …
… das auch nicht an Qualität gewonnen hat seit den 1950er Jahren.
Aktuelle Sätze wie „Kunst bleibt ein krisenfester Resonanzraum für die Probleme unserer Zeit“ oder „Kultur ist elementare Basis von Demokratie als politische Lebensform der Freiheit“ legen diesen Schluss nahe. Auf jeden Fall begann mein Onkel, sich dem Thema Schweigen zunächst im Sinne von „Nicht-Sprechen“ zu widmen. Er zeichnete Formen des Schweigens auf. Später befasste er sich auch theoretisch mit der Stille.
Sie sind wie Ihr Großonkel studierter Psychologe. Wie gehen Sie mit dem Thema um?
Heute schweigt man lauter und spricht von „Psychoakustik“ (lacht). Wir wissen, dass Lärm nicht gleich Lärm ist. Unsere Reaktion ist situationsabhängig. Bei gleicher Dezibel-Zahl empfindet der eine ein Geräusch oder einen Geräuschteppich als störend, ein anderer nicht. Mit „laut“ werden überhaupt häufig Eigenschaften wie männlich, jung, stark verbunden. Bei „leise“ assoziiert die Mehrheit überwiegend kraftlos, weiblich, vorsichtig.
Man sagt, das Ohr schläft nie.
Um zu hören, müssen wir nicht sehen. Der Körper verarbeitet permanent akustische Informationen, Geräusche gehören zur natürlichen Raumwahrnehmung. Deshalb empfinden wir absolute Stille auch als Bedrohung. Eine äußerst erfolgreiche Foltermethode ist die Camera Silens, das Abschirmen des Probanden von allen Außenreizen. Das führt schnell zu Halluzinationen und Desorientierung. Andererseits gibt es Meditationstechniken, die auf das Abschalten der Außenreize etwa in einem Salzwassertank setzen. Man muss sich darauf einlassen können.
Und schweigen können wie Ihr Großonkel. Andererseits: Auch Lärm kann krank machen.
Körperlich wie psychisch und unabhängig vom subjektiven Empfinden. Das reicht von Herzinfarkt und Bluthochdruck bis zu Konzentrationsstörungen und ungesteuerter Aggressivität. Die Schmerzgrenze für unsere Ohren liegt bei etwa 120 Dezibel, ein Flugzeugstart kann es auf 130 Dezibel bringen. Der Geräuschpegel in einem Fußball-Stadion kann da unter Umständen locker mithalten.
Fußball ist nach 90 Minuten vorbei. Wie kann man für sich diese Balance zwischen laut und leise schaffen?
Mein Großonkel hat ja einen Ausweg angedeutet (lacht). Man sollte sich nicht immer dem Terror der Kommunikation aussetzen, sich sein eigenes Sounddesign basteln und auch mal schweigen.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Politiker sind Designer unseres Zusammenlebens“
Ein Interview mit Joachim Paul, Spitzenkandidat der Piraten in NRW – Thema 05/12 Lärm
Fenster zu – nein danke
Zusammenhang von Lärm, Umweltbelastung und Freizeitspaß - THEMA 05/12 LÄRM
Mehr als eine Verfahrensfrage
Wolfgang Hoffmann über Lärmentgelte, Frachtverkehr und Planfeststellungen - Thema 05/12 Lärm
Dauerthema Brüsseler Platz
Elisabeth Thelen über Lärm in der City, Ausweichziele und Moderation - Thema 05/12 Lärm
Mit Geräusch verbunden
Thomas Oesterdiekhoff über Lärm und Neue Musik - Thema 05/12 Lärm
Ran an die Regeln
Intro – Verspielt
Es sind bloß Spiele
Teil 1: Leitartikel – Videospiele können überwältigen. Wir sind ihnen aber nicht ausgeliefert.
„Viele Spiele haben noch einen sehr infantilen Touch“
Teil 1: Interview – Medienpädagoge Martin Geisler über Wandel in der Videospiel-Kultur
Jenseits der Frauenrolle
Teil 1: Lokale Initiativen – Die Spieldesignerin und Label-Gründerin Mel Taylor aus Köln
Werben fürs Sterben
Teil 2: Leitartikel – Zum Deal zwischen Borussia Dortmund und Rheinmetall
„Genießen der Ungewissheit“
Teil 2: Interview – Sportpädagoge Christian Gaum über das emotionale Erleben von Sportevents
Immer in Bewegung
Teil 2: Lokale Initiativen – Sportangebote für Jugendliche im Open Space in Bochum
Das Spiel mit der Metapher
Teil 3: Leitartikel – Was uns Brettspiele übers Leben verraten
„Ich muss keine Konsequenzen fürchten“
Teil 3: Interview – Spieleautor und Kulturpädagoge Marco Teubner über den Wert des Spielens
Zusammen und gegeneinander
Teil 3: Lokale Initiativen – Spieletreffs in Wuppertal
Spielglück ohne Glücksspiel
Gegen teure Belohnungen in Videospielen – Europa-Vorbild: Belgien
Spielend ins Verderben
Wie Personalmanagement das Leben neu definierte – Glosse
Wie gewohnt
Intro – Europa
Demokratischer Bettvorleger
Teil 1: Leitartikel – Warum das EU-Parlament kaum etwas zu sagen hat
„Die Bürger vor globalen Bedrohungen schützen“
Teil 1: Interview – Politikwissenschaftler Oliver Treib über Aufgaben und Zukunft der Europäischen Union
Zu Gast in Europas Hauptstadt
Teil 1: Lokale Initiativen – Die europäische Idee in Studium und Forschung an der Kölner Universität
Europäische Verheißung
Teil 2: Leitartikel – Auf der Suche nach Europa in Georgien
„Mosaik der Perspektiven“
Teil 2: Interview – Miriam Bruns, Leiterin des Goethe-Instituts Budapest, über europäische Kultur
Europa verstehen
Teil 2: Lokale Initiativen – Initiative Ruhrpott für Europa spricht mit Jugendlichen über Politik
Paradigmenwechsel oder Papiertiger?
Teil 3: Leitartikel – Das EU-Lieferkettengesetz macht vieles gut. Zweifel bleiben.