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Martin Schläpfer: „Neither“, Chidozie Nzerem, Marlucia do Amaral
Foto: Gert Weigelt

Genie und Talent

01. Juli 2010

Von kleinen und grossen Choreographinnen - Tanz in NRW 07/10

Was ein Genie ist, darüber ist sich selbst Wikipedia nicht einig. In der Kunst wird Neo Rauch derzeit als Maler-Genie gefeiert. Viele, die mit seinen postsozialistischen Tableaux wenig anfangen können, werden das anders sehen. Im Tanz wagt sich bislang niemand, einen Tänzer oder Choreografen als Genie zu bezeichnen. Er/sie ist allenfalls „genial“. War Merce Cunningham ein Genie, von dem der ehemalige FAZ-Kritiker Jochen Schmidt sagt, dass er „mehr in Bewegung gesetzt und mehr ästhetische Trends ausgelöst (hat) als irgendein anderer in der Welt des Tanzes“? War Pina Bausch ein Genie, die als „Erfinderin“ des Tanztheaters sicher die weltweit einflussreichste Choreografin wurde? Möglich, dass die Tanzkritik noch nicht erkannt hat, dass der bisherige Genie-Begriff überholt ist. Möglich, dass man sich vor unabänderlichen Festlegungen scheut, weil man schon von der nächsten Choreografie des Genies widerlegt werden könnte. Der IQ als Messlatte hat ausgedient. Gleichwertig neben der geistigen Leistung können auch eine herausragende künstlerische Kreativität und außergewöhnliche Schöpfungskraft jemanden zum Genie machen. Merce Cunningham und Pina Bausch waren Genies! Sie haben nicht nachgeahmt, sondern Einmaliges geschaffen. Sie haben Generationen von Tänzern und Choreografen geprägt.

Auch aktuell gibt es geniale Tanzschaffende, die das Zeug zum Genie haben. Mit einem Meisterwerk der Extraklasse hat sich der Chefchoreograf des Düsseldorfer Ballett am Rhein, Martin Schläpfer, dafür empfohlen. Seine Choreografie „Neither“, auf deutsch: „Weder“, zur gleichnamigen Oper von Morton Feldman und Samuel Beckett macht atemlos. Zur Oper heißt es: Kein Werk ist so glasklar ungefähr. Schläpfer macht dieses Ungefähre sichtbar. Er findet für Becketts abstrakten Text um das menschliche Selbst eine unglaublich präzise Tanzsprache, und er gibt Feldmans Musik eine unnachahmlich schöne tänzerische Form. Das Geniale aber ist die Stimmung, die sich völlig unerwartet wie ein Schleier kollektiven Empfindens über den ganzen Saal legt und wohl jeden ergreift. Ob Schläpfer ein Genie ist, mag dahingestellt sein. Aber dieses Ballett ist ein Geniestreich sondergleichen. Es macht erstmals die andere, noch weitgehend unerschlossene Qualität des Tanzes sichtbar, in die Tiefen wirklicher Abstraktion vorzudringen. Das Ballett wird in der Spielzeit 2010/2011 wieder aufgenommen.

Am Anfang jeder Entwicklung zum Genie aber steht das Talent. Deshalb hatte die neueste Einrichtung des Tanzes in NRW, das „Tanzhaus Köln – interim“ den choreografischen Nachwuchs zur Talentprobe gerufen. Fünf U- 30-ChoreografenInnen stellten sich in 13-Minuten-Beiträgen einer Fachjury. Erstaunlich, welch hohes Niveau die Beiträge hatten.

Prämiert wurde das Solo-Tanztheater „Passt eine Seele in meine Haut?“ von Katharina M. Horn (Oldenburg), in dem sie Kurt Weills Öl-Musik eindrucksvoll vertanzte. Der angemessen sensible Umgang mit Musik: eine Conditio sine qua non, eine unabdingbare Voraussetzung für Talent wie Genie.

www.operamrhein.de I www.tanzhaus-koeln.de

Klaus Keil

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