Alles, was dem seit 20 Jahren in Isolationshaft sitzenden identitätslosen Gefangenen bleibt, sind die Erinnerungen, das Selbstgespräch und ein Festhalten an Gewohnheiten. Liegestützen, um die Muskeln nicht verkümmern zu lassen, das Umherwandern an einer Kette, die drei Schritte nach rechts und drei Schritte nach links reicht. Diese Schritte teilen seinen Tag ein. Und dazwischen quält ihn eine Stille, die in ihrer dichten Leere realer Alptraum ist. Der Regisseurin und Bearbeiterin Ulrike Janssen gelingt es, Mauricio Torchios Roman auf die gänzlich kahle Bühne des Theater der Keller zu bringen und dabei eine so erstickend beklemmende Atmosphäre aufzubauen, dass der Zuschauerraum für 70 Minuten selbst zur Zelle wird. Dafür benötigt sie nichts als drei talentierte SchauspielerInnen und einen Scheinwerfer. Von ihm geht das kalte Licht einer Inspektion aus, das zu einer einzigen grellen Beschuldigung wird.
In der engen Zelle gibt es keine Gegenwart, sondern nur Vergangenheit. Darum gehen die Gedanken des Gefangenen auf Reisen. Zurück in die Höhle, in der er sieben Monate mit seinem Entführungsopfer, der „Kaffeeprinzessin“ (Susanne Seuffert), hauste und hinaus zu den Möwen, die kreischend über den Gefängnismauern kreisen. Daniel Kuschewski und Markus Penne wechseln sich anfangs in der Rolle des Gefangenen und seiner umherirrenden Psyche ab, sind sich mal verbunden und mal Widersacher. Doch irgendwann synchronisieren sich ihre Bewegungen, der Dialog wird zum Monolog. Irgendwann gibt es kein Draußen mehr.
„Das angehaltene Leben“ | R: Ulrike Janssen | 28.12., 3., 23., 30.1. 20 Uhr | Theater der Keller | 0221 31 80 59
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