Wir haben ein ernstes Männerproblem. Nicht nur, dass sich Sozialarbeiter um das Selbstbewusstsein männlicher Jugendlicher sorgen müssen. Allzu häufig bleiben die Jungs in der Schule hinter den gleichaltrigen Vertreterinnen des „schwachen Geschlechts“ zurück. In Männergruppen hat man sich auf die verwirrende Suche nach einer neuen Geschlechteridentität begeben – Windelwechseln und Elternzeit als neues Leitbild für einstige Machos? Selbst beim Fußball ist Mann nicht mehr unter sich. Schon mehrfach haben kickende Männer der deutschen Nation wieder Leben eingehaucht. Jetzt planen die Frauen mit ihrer Fußballweltmeisterschaft dasselbe – wo bleibt da das männliche Alleinstellungsmerkmal? Wie soll Mann da noch den Niedergang Deutschlands stoppen und das christliche Abendland, vielleicht sogar die ganze Welt retten? Kein Wunder, dass die Leistungsfähigkeit männlicher Spermien in westlichen Ländern gelitten hat. Doch jetzt gibt es Hoffnung. Ein ehemaliger Bundesbänker konnte nur deshalb das „hierzulande am schnellsten verkaufte politische Sachbuch seit 1945“ schreiben, weil er zielgenau in die männliche Seele traf und Wege aus der Krise gewiesen hat. Denn Sarrazin lesen meist die verunsicherten Männer, hat eben eine Erhebung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) für die Süddeutsche Zeitung ergeben. Normalerweise kaufen vor allem Frauen Bücher, hier hat Mann den Spieß umgedreht. Mann hat sogar Initiative erwiesen und das Buch zu 62% überwiegend „für sich selbst“ besorgt. 7% bekamen es von Frauen überreicht, so dass unterm Strich gut sieben Zehntel der Bucheigentümer männlich sind. Sie kommen überwiegend aus der Mittelschicht und sind Besserverdiener, Bessergebildete und Aufsteiger. Die Altersgruppe der 20-29Jährigen und die über Sechzigjährigen sind dabei deutlich überrepräsentiert. Ihr gemeinsames Lebensziel: sicherer Job, hohes Einkommen, möglichst wenig Risiko. Und: Die Wohnung muss sauber sein, das Zusammenleben harmonisch verlaufen. Natürlich fühlt Mann sich bedroht vom Rest der Welt. Alles soll möglichst so bleiben, wie es ist – die gefährlichen Ausländer müssen draußen, die Frauen am Herd bleiben. Sicherheit findet Mann in der sauberen, aufgeräumten Wohnung. Dort sieht Mann vor allem fern. Bei der Zeitungslektüre werden weniger BILD & BamS geschätzt als vielmehr „Die Welt“, aber am meisten die FAZ („Dahinter steckt ein kluger Kopf“). Süddeutsche und taz gelten fast schon als linksradikal. Noch entschiedener orientiert sich da nur noch der „Inoffizielle Thilo Sarrazin Fanclub“ an den Positionen des Meisters. Der Club kämpft von den USA aus für „Deutschlands Überleben“, weil er das Risiko einer Strafverfolgung hierzulande scheut und auf „Berufsverbot, Geldstrafe oder Freiheitsentzug“ ausweichen will. Aus dem sicheren Exil heraus gilt seine Bewunderung uneingeschränkt dem kämpferischen Autor: „Wir verneigen uns aber voller Ehrfurcht vor denen, die, wie Herr Dr. Sarrazin, im Lande bleiben und sich bewusst der Verfolgung aussetzen.“ Mann ist sich da ganz sicher: So wird sich Deutschland nicht abschaffen.
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