Die UNO schätzt die weltweite Zahl der Geflüchteten derzeit auf 50-70 Millionen. Viele davon leben aus unterschiedlichsten Gründen in einem Exil. Der Grundgedanke des Exils sei zunächst, so Nuran David Calis, dass Menschen etwas verlassen müssen, das sie sehr lieben: Ihre Heimat. Der Regisseur bereitet gerade am Schauspiel Köln eine neue Produktion unter dem Titel „Exil“ vor. Dafür hat er rund 40 Interviews geführt, mit ukrainischen, afghanischen, nordafrikanischen, irakischen oder kurdischen Geflüchteten. Als Erkenntnis dieser Gespräche beschreibt Calis das Exil als nicht greifbaren, fast „transzendenten Raum“. Viele Geflüchtete hätten das Gefühl, dass Integration im Exil-Land vielfach mit einem „Verrat am eigenen Land“ erkauft sei. Zur äußeren käme deshalb oft eine innere Emigration hinzu.
Anders als bei bisherigen Kölner Produktionen wie „Die Lücke“ oder zuletzt „Mölln 92/22“ arbeitet Nuran David Calis diesmal ausschließlich mit Schauspielern. Er habe die Erfahrung gemacht, dass das Heraufbeschwören schmerzhafter Erinnerung häufig zu „Retraumatisierungen“ geführt hätte. Die neue Produktion soll deshalb auch weniger auf persönliche Schicksale ausgerichtet sein, als sich universeller mit dem „Gedanken des Exils als einem Ausharren im Dazwischen“ beschäftigen.
Doch im Ensemble findet sich auch der ukrainische Schauspieler Oleksii Dorychevskyi, der mit Frau und Kind derzeit in Deutschland lebt und arbeitet. Mit ihm hat Calis verabredet, dass Teile seiner Biographie nur verfremdet auf die Bühne kommen, um Distanz zu wahren. Doch auch Oleksii Dorychevskyi wisse, so Calis, „dass die Uhr gegen ihn läuft“. Zwar plane die Familie, im Juni zurückzukehren, sicher sei das aber nicht. Bleiben oder Zurückkehren werde dann zur „familiären Zukunftsfrage“ und im schlimmsten Fall zur Zerreißprobe. Nuran David Calis kennt das aus eigener Erfahrung. Seine Eltern sind in den 1980er Jahren vor der türkischen Militärdiktatur nach Deutschland geflohen – und geblieben. Andererseits ist Calis in Gesprächen mit den Geflüchteten einer Beschwörung von Europa als Ort der Freiheit und Demokratie begegnet, die ihm selbst klargemacht habe, wie sehr die EU bei allen Schwierigkeiten bewundert wird – und dass wir diese unsere Welt auch unbedingt verteidigen müssen.
Exil | R: Nuran David Calis | 14.(UA), 27., 29.1. jeweils 20 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 221 284 00
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