Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
23 24 25 26 27 28 29
30 31 1 2 3 4 5

12.582 Beiträge zu
3.812 Filmen im Forum

Glückwunsch! Und jetzt?
Foto: stokkete / Adobe Stock

Es ist nicht die Natur, Dummkopf!

28. November 2023

Teil 1: Leitartikel – Es ist pure Ideologie, unsere Wirtschafts- und Sozialordnung als etwas Natürliches auszugeben

In letzter Zeit ist wieder viel von Gier die Rede. Beispielsweise im Neologismus „Gierflation“, wonach die Gier von Konzernen nach Extragewinnen angesichts von derzeitigen multiplen Krisen (Corona, Klima, Ukraine) zum rasanten Anstieg der Verbraucherpreise geführt habe; ob und wie der neuerliche Krieg in Nahost zu Preissteigerungen führen wird, muss sich erst noch zeigen. Gier, so die stumpfsinnige Erklärung, liege halt in der Natur des Menschen, und der Kapitalismus sei die Wirtschaftsform, die dieser Grundeigenschaft des Menschen entspreche. Sozialismus und Kommunismus hingegen seien zum Scheitern verdammt, weil sie angeblich die überhistorisch-egoistische Natur des Menschen missachteten. 

Rationale Egoisten

Niederschlag in der Wirtschaftswissenschaft erlangt die angebliche Menschennatur im Modell des „homo oeconomicus“, des wirtschaftenden Menschen. Der Theorie nach soll er ein seinen eigenen Nutzen maximierender rationaler Akteur im Feld der Ökonomie sein. Laut dem englischen Philosophen John Stuart Mill (1806-1873), der den Vorläuferbegriff „oeconomic man“ mit geprägt hat, ist der Mensch jenes Wesen, das „Reichtum zu besitzen wünscht und in der Lage ist, die vergleichende Wirksamkeit der Mittel zur Erreichung dieses Ziels zu beurteilen“. Kurz gesagt: Ein Unternehmer will den Profit seiner Unternehmung maximieren, während der Konsument gerne das Verhältnis von Arbeit (möglichst wenig) und Einkommen (möglichst viel) optimieren möchte. Die dahintersteckende Denkweise ist jedoch zutiefst ideologisch, kommt sie doch nur einer bestimmten gesellschaftlichen Klasse zu Gute: dem Bürgertum bzw. der Bourgeoisie. Der Bürger denkt, rein individualistisch und fernab sozialer Notwendigkeiten, nur an sich selbst.

Es geht um Macht

Historisch gesehen, und gemessen an der Menschheitsgeschichte, ist das Bürgertum als die denKapitalismus tragende gesellschaftliche Klasse recht jung. Und sie ist weder vom Himmel gefallen, noch aus der Natur erwachsen, sondern Resultat historischer und somit menschlicher und keineswegs alternativloser Entwicklungen. Als gesellschaftliche Klasse, betritt die Bourgeoisie erst im 18. Jahrhundert wirkmächtig die Bühne der Weltgeschichte. Seither ist sie diejenige Klasse in einer kapitalistischen Gesellschaft, in deren Händen der Privatbesitz an den Produktionsmitteln (und somit der materielle Reichtum) liegt, und die von der Aneignung des von Lohnarbeitern geschaffenen Mehrwerts lebt. Vermittelt über Kapitalverbände, persönliche Netzwerke, Parteispenden, Lobbyismus sowie ihren Einfluss auf die Massenmedien fällt ihr auch ein Großteil der politischen Macht zu. Den Kapitalismus daher ausschließlich als Wirtschaftssystem zu begreifen, springt zu kurz, ist er doch vor allem ein Machtverhältnis, in dem die große Mehrheit, die nichts als ihre Arbeitskraft zu verkaufen hat, nach der Pfeife der Produktionsmittelbesitzer tanzen muss.

Schwerkraft bekämpfen

Homogen sind die Interessen der einzelnen Bourgeois jedoch nicht. Im Gegenteil ist die Klasse in sich zutiefst gespalten. Ihr einziges gemeinsames Interesse ist negativer Art: den Sturz ihrer Macht und ihrer Eigentumsordnung unter allen Umständen zu verhindern. Damit das gelingt, muss die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ordnung als etwas naturwüchsig Überhistorisches erscheinen, gegen das anzukämpfen so sinnlos ist wie sich gegen die Auswirkungen der Schwerkraft zu stemmen.


GEBEN UND NEHMEN - Aktiv im Thema

schoepflin-stiftung.de | Die Stiftung fördert ziviles Engagement in Bildung, Wirtschaft, Medien und Migration „als Ergänzung und Gegengewicht zu öffentlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren“.
solidarische-moderne.de/de/article/364.alternativen-fuer-eine-gerechte-und-solidarische-europaeische-wirtschafts-und-finanzpolitik.html | Positionspapier des Institut Solidarische Moderne für eine solidarische Wirtschafts- und Finanzpolitik.
imzuwi.org | Das Impulszentrum Zukunftsfähiges Wirtschaften betreibt „Wirtschaftsmöglichkeits-Forschung mit kritischem Blick auf herrschende Ideen und Interessen“.

Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de

Bernhard Krebs

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Mufasa: Der König der Löwen

Lesen Sie dazu auch:

Weihnachtswunder
Intro – Geben und nehmen

„Gier ist eine Systemeigenschaft im Finanzsektor“
Teil 1: Interview – Soziologe Sighard Neckel über Maßlosigkeit im Kapitalismus

Menschenrechte vor Dividenden
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre in Köln

Wo komm ich her, wo will ich hin?
Teil 2: Leitartikel – Der Mensch zwischen Prägung und Selbstreifung

„Die Klimakrise rational zu begreifen reicht nicht“
Teil 2: Interview – Neurowissenschaftler Joachim Bauer über unser Verhältnis zur Natur

Etwas zurückgeben
Teil 2: Lokale Initiativen – Wuppertals Zentrum für gute Taten e.V.

Man gönnt anderen ja sonst nichts
Teil 3: Leitartikel – Zur Weihnachtszeit treten die Widersprüche unseres Wohlstands offen zutage

„Dieses falsche Gesellschaftsbild korrigieren“
Teil 3: Interview – Philosoph Jan Skudlarek über Freiheit und Gemeinwohl

Mit Oma auf die Straße
Teil 3: Lokale Initiativen – Die Bochumer Ortsgruppe der Omas gegen Rechts

Konzern in Arbeiterhand
Die Industriegenossenschaft Mondragón – Europa-Vorbild: Spanien

Neidischheit und Geiz und Reichheit
Die Reichen sind geizig und die Armen neidisch. Klare Sache? – Glosse

Leitartikel

HINWEIS