„Wanderapostel des modernen Holzschnitts“ – so wurde Emil Orlik Anfang des 20. Jahrhunderts genannt. Emil Orlik, ein 1870 in Prag geborener Maler, Zeichner, Bühnenbildner und Graphiker, der 1932 in Berlin starb, hat in gerade mal einem Jahrzehnt den Farbholzschnitt im deutschsprachigen Raum revolutioniert. Welche Meisterschaft er erlangte, das veranschaulicht jetzt eine Ausstellung im Käthe Kollwitz Museum der Kreisparkasse Köln. Sie vermittelt einen Überblick über Orliks druckgraphisches Werk anhand seiner Auslandsreisen, die sich noch in den Motiven der Blätter widerspiegeln. Ausgestellt sind 140 Druckgraphiken und Zeichnungen, hinzu kommen Korrespondenzen und sogar Druckstöcke. Nach den teils impressionistischen Malereien, die hier zuletzt ausgestellt waren und weit in die Räume hinein leuchteten, verlangen die kleinen bis winzigen Drucke die Nahsicht, aber dann erlebt man Großes: Zwischen introvertierter Notation und vitaler vielfarbiger Erzählung.
Die druckgraphischen Techniken hatte Emil Orlik an der Münchner Kunstakademie gelernt. Aber erst 1896 setzt er sich gemeinsam mit seinem Studienfreund Bernard Pankok intensiv mit dem Holzschnitt auseinander. Seine Drucke stehen Ende des 19. Jahrhunderts ganz im Zeichen des Jugendstils. Zusammen mit Pankok veröffentlicht er in den Zeitschriften „Pan“ und „Jugend“. Nachdem er 1898/99 durch halb Europa gereist ist, bricht er im März 1900 nach Japan auf, für zwölf Monate. Ziel ist die Vervollkommnung der druckgraphischen Techniken, durch ihre Aneignung bei den Meistern in Japan. Natürlich wird Orlik das Fremde und Exotische, die so gänzlich andere und ferne Welt gereizt haben. In seinen Holzschnitten, die er dort oder anschließend zuhause angefertigt hat, widmet er sich dem Alltagsleben in Japan. Er porträtiert die Berufsstände und wendet sich der typischen Architektur und der Landschaft zu. Aber er macht einen Bogen um touristische Motive. Andererseits behält er die europäische Perspektive mit ihren Verfahren der Bildanlage bei.
Wie erfolgreich seine Studien sind, verdeutlicht in der Ausstellung der Vergleich zwischen den frühen Holzschnitten und den Blättern, die anschließend unter dem japanischen Einfluss entstanden sind. Waren die Holzschnitte bis 1900 flächig und nur sparsam – und dann komplementär – farbig, so entwickelt Orlik jetzt geradezu ein Feuerwerk an variabler Raumauffassung, Erzählfreude und Farbnuancierung. So setzt er etwa zahlreiche verschiedene Blau- oder Grüntöne nebeneinander. Emil Orliks Hauptwerk ist die Mappe „Aus Japan“, die er 1904 veröffentlicht hat. Sie enthält Lithographien und Radierungen, überwiegend in Farbe, aber erstaunlicherweise keinen einzigen Farbholzschnitt. Aber Orlik experimentiert hier und kombiniert verschiedene Verfahren. Und fortan gehört er zu ersten Liga der Druckgraphiker. Er wird 1904 als Leiter der Fachklasse für Grafik und Buchkunst an die Lehranstalt des Berliner Kunstgewerbemuseums berufen und hält Vorträge zum Holzschnitt. Für ihn selbst verliert diese Technik allerdings schon bald an Bedeutung. Er entdeckt andere Interessenfelder und reist weiterhin, etwa nach Paris oder später in die USA. Außerdem etabliert er sich als Bühnenbildner und Kostümschneider für das Theater in Berlin. Einmal noch reist er nach Ostasien, 1912, und stellt in Japan ernüchtert fest, dass sich dieses Land in nur einem Jahrzehnt völlig verändert hat und ihn nicht mehr berührt. Neun Jahre später entsteht dazu eine Mappe, nun mit zwölf Blättern, sämtlich Radierungen, von denen aber sich nur vier Japan selbst zuwenden, die anderen widmen sich den vorausgegangenen Reisestationen. Die Beschäftigung mit Japan und mit dem Holzschnitt gehörte für ihn längst der Vergangenheit an – aber vor allem mit seinen faszinierenden druckgraphischen Blättern zu diesem Land ist er bis heute bekannt.
„Emil Orlik – Zwischen Japan und Amerika“ | bis 27.4. | Käthe Kollwitz Museum | www.kollwitz.de
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