Tanz ist Bewegung – eine scheinbar banale Erkenntnis. In der aber die Bereitschaft enthalten ist, sich vom Alten zu lösen und sich auf das Neue einzulassen. Volles Risiko ist auch Slava Gepner eingegangen, als er vor vier Jahren die TanzFaktur in Köln-Poll eröffnete. Das Rechtsrheinische wird nicht ohne Grund von den Kölnern als „schäl Sick“ bezeichnet, dort existierte die Kultur immer nur im Blindflug. Gepner hat es gewagt in einem verlassenen Industriebau gleich gegenüber dem Deutzer Hafen ein Zentrum für Freie Gruppen und internationale Kompanien zu eröffnen. Heute bezeichnet er sich als „blauäugig“, wenn er daran zurückdenkt, dass er einmal geglaubt hat, mit guten Argumenten die Banker von einem Kredit überzeugen zu können. „Ausgelacht hat man mich, und mir zu verstehen gegeben das ‚Kultur wertlos‘ sei“, erinnert er sich.
Eine andere Illusion platzte mit der Vorstellung, die eigene Kompanie NovaTanz weiterführen zu können. „Mein künstlerisches Ego musste ich aufgeben, weil mit der Organisation der Faktur kein Raum mehr für die Inspiration der choreografischen Arbeit bleibt.“ Im Gespräch spürt man jedoch, dass der 44-Jährige gebürtige Breslauer mit Energie geladen ist und dem ökonomischen Druck entschlossen die Stirn bietet. 60 Veranstaltungen bewältigt die Tanzfaktur im Jahr, bei einem Publikumsschnitt von etwa 80 Besuchern. Neben dem großen Bühnenraum hat man einen kleinen für intimere Produktionen eingerichtet und verfügt derzeit über 3 Studios, deren Anzahl noch steigerungsfähig ist. Auch wenn die ästhetischen Diskussionen im Hause mitunter sehr kontrovers geführt wurden, überzeugten viele Produktionen. Mit bodytalk und Reut Shemesh präsentierte man zweimal Premieren, die später den Kölner Tanztheaterpreis gewannen. Vor allem jedoch verstand es Gepner, ein internationales Programm mit seiner Reihe „Borderlines“ aufzubauen, das die Faktur zum interessantesten Ort der Freien Tanzszene in Köln machte.
Das Prinzip der „Borderlines“ besteht aus einer Achse, die zwischen verschiedenen Ländern gespannt wird. So tanzten etwa Niederländer in der Begegnung mit Polen, oder Tschechen mit Belgiern und Franzosen, Israel korrespondierte mit Norwegen und Portugal mit St. Petersburg. Hinzu kam die Überlegung, die Tradition der Sommerakademie wieder aufzunehmen, die Köln einmal zum Nabel der Tanzwelt gemacht hat. Zunächst zögerlich, dann jedoch ästhetisch immer anspruchsvoller entwickelte sich diese Reihe. In diesem August gab es denkwürdige Gastspiele der großartigen spanischen Kompanie OtraDanza, die in ihrer Tanzperformance „Rito“ demonstrierten, wie die ganze Welt in einem Kuss ertränkt werden kann. Unvergessen auch das Solo der Niederländerin Sabine Molenaar, die in „Almost Alive“ zeigte, wie das Ego mit der Evolution verschmelzen kann.
Für Slava Gepner besitzt die Tanzkunst auch deshalb eine große Zukunft, weil ihr Körperwissen nur „die Spitze eines Eisbergs darstellt“. Es gibt noch viel über Yoga und Pilates hinaus zu entdecken. Dass Körper nicht so unglücklich bleiben müssen, wie er sie täglich in der Straßenbahn sieht, ist für Gepner eine ausgemachte Sache. „Haltung ist das Problem unserer Zeit“, erklärt er und will diesen Satz durchaus politisch als Kampfansage an die Adresse der Populisten in Europa verstanden wissen. „Aus Haltung entsteht Bewegung“, sagt Gepner „und Bewegung wird zur Verpflichtung“.
Auch diese Erkenntnis enthält eine politische Dimension, und zwar eine kommunalpolitische. Denn vor der Haustüre der Tanzfaktur wartet der Deutzer Hafen auf seine Verwandlung zu einer architektonischen Attraktion, die Wohnen, Arbeiten und Kultur am Rhein auf inspirierende Weise miteinander verbinden soll. Eine große Chance für Köln, einen Ort zu schaffen, an dem der freie Tanz und andere darstellende Künste ein Forum für ihre Entwicklung erhalten. Genau das, was der Stadt bisher so schmerzhaft fehlt. Allein die Tanzfaktur existiert schon, dank der Bereitschaft Slava Gepners, alles auf eine Karte zu setzen. Gerne zitiert Gepner sein Vorbild Maurice Béjart, der Bewegung als Aufruf zur Entwicklung verstand, indem er darauf hinwies, dass Tanz wie ein Fluss sei, der, wenn er nicht mehr fließt, zu einem Sumpf wird.
Vom 8. bis 10. Dezember steht der Faktur das nächste Borderlines-Festival ins Haus, wenn die internationale Achse zwischen Großbritannien und der Slowakei gespannt wird.
TanzFaktur | Siegburger Str. 233W, Köln-Poll | www.tanzfaktur.eu
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