Oberkörperfrei, im weiten Tüllrock, tanzt König Edward II. (Alexander Angeletta) in den Raum – sein Geliebter Gaveston (Justus Maier) ist angekommen! Das erfreut die versammelte Hofgemeinschaft leider nicht sehr, wurden sie doch in der schmatzenden Einnahme kostbarer Süßigkeiten gestört. Ihnen gefällt nicht, wie der junge Thronfolger das Erbe des Vaters für seine Liebeleien verprasst.
Das Stück „Edward II“ von Christopher Marlowe aus dem Jahre 1594 wurde vor wenigen Jahren vom Dramatiker Ewald Palmetshofer neu bearbeitet und mit „Edward II – Die Liebe bin ich“ betitelt. Mitten im Theaterlockdown machte Pınar Karabulut daraus am Schauspiel Köln eine Streaming-Serie in sechs Teilen, die bis zum 2. Juli angerufen werden konnte.
Explizite Sexszenen
Eine Schrifttafel zu Beginn jeder Folge weist ausdrücklich darauf hin, dass sich die Darsteller Antigentests unterzogen haben – sowie Tests auf Geschlechtskrankheiten. In keinster Weise wolle man, des Weiteren, ungeschützten Sex empfehlen. Schon in der ersten Folge wird die Zuschauerin jedoch mit selbigem konfrontiert. Und das ziemlich explizit. Doch (homosexueller) Sex wird zumindest das „Game of Thrones“-gierige Publikum wenig schockieren. Ausgelöst wird der Akt zwischen dem König mit den rosafarbenen Haaren und seinem französischen Geliebten durch eine Zeichnung: „Draw me like one of your French girls“, zitiert der junge König „Titanic“ und inszeniert die gesamte Pose inklusive blauem Klunker.
Viele zeitliche und lokale Ebenen
Ein Großteil des Drehs scheint im Kölner Excelsior Hotel Ernst stattgefunden zu haben, dessen edle Einrichtung für einen achronistischen Palast angemessen scheint. Überhaupt alles in dieser Serie scheint aus jedem Rahmen und jeder Zeit fallen zu wollen. Man spricht abwechselnd deutsch und englisch, dreht in Farbe und Schwarz-Weiß. Aus heranrollenden Autos steigen Menschen mit weißen Perücken.
Wilde Partys werden in einem Container gefeiert, zu Bette gehen König und seine eigentliche Frau, Königin Isabelle (Nicola Gründel), in der Präsidentensuite. Manchmal hocken alle mit Hüten in Film Noir-Detektivbüros – oder sie tanzen in Satinpyjamas wie Puppen in einem Puppenhaus. Dann wieder wird auf einer krass futuristischen Sause zwischendurch die Zeit angehalten, um einzelne Bewegungen hervorzuheben.
Und dann gibt es da noch die Erzählungen über das Kind des Königspaares, das in Hoppenstedtmanier unterm Weihnachtsbaum eskaliert. Alles wird untermalt von wahlweise experimenteller, unheimlicher Musik oder von zu dumpfem Gewusel verarbeiteten Popsongs. Wer hier noch nicht den Faden verloren hat, dem sei kurz der Detektivhut gelüpft.
Nur die Liebe zählt – problematisch
Doch eigentlich ist die Geschichte recht simpel, zieht man einmal den traurigen Schleier weg, der über allem liegt, lässt sich nicht von der depressiv Originaltexte flüsternden Stimme aus dem Off irritieren. Und vor allem gewöhnt man sich an das seltsam distanzierte, staksige Spiel der Darsteller.
Eduard ist eigentlich zu jung, um den Thron zu besteigen, und vielleicht auch zu schwul, um seiner höfischen Gang zu gefallen. Was für Edward II zählt, ist nichts als die Liebe. Und darin liegen auch seine größten Probleme. Denn der Einfluss, den sein Liebhaber Gaveston auf ihn ausübt, wird von den Peers derart verachtet, dass ein Mord geplant werden muss.
Die sechs 20-minütigen Folgen der Schauspiel-Serie bereiteten durchaus eine gute Unterhaltung in ästhetischen Bildern. An die unterkühlte Inszenierung, die versucht, Theater- und Filmschauspiel zu mischen, musste man sich zunächst gewöhnen. Zwischen all den Lichteffekten und spacigen Kostümen zu sagen, das Stück sei insgesamt „ein bisschen drüber“, wäre jedenfalls noch eine Untertreibung.
Edward II – Die Liebe bin ich | R: Pınar Karabulut | keine weiteren Termine | Schauspiel Köln
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