Was ist ein OB? Verwaltungstechnisch gesehen eine einfache Frage. Ein Oberbürgermeister steht der Verwaltung einer Stadt vor, lenkt und verantwortet ihre Entscheidungen – natürlich in Abstimmung mit dem Rat. Während im Rat PolitikerInnen ihre Einzelinteressen verfechten, soll er keine Parteien kennen, nicht eine einzige, sondern die Bürger repräsentieren. Und vor allem die Stadt verkörpern, der er vorsteht. Jede Stadt wählt sich deshalb den OB, den sie verdient. Jenseits aller Verwaltungsvorschriften fungiert er so als symbolisches Gesamtkunstwerk für die heimische kollektive Identität – wie Fritz Schramma (CDU) zum Beispiel. Er ist Köln. Sein Auftritt ist ganz fest ausgerichtet auf das, was sich der konservative kölsche Kölner als Image für seine Stadt vorstellt: jovial und sozial, volkstümlich, verständnisvoll und kommunikativ, irgendwie bodenständig und „sich Kölle över Grenze denkend“. Er kennt die Stadt („Mir han Erfahrung un Talent“) und weiß um wunde Punkte: „Geschichte, Brauchtum un Kultur – Die Trümpfe vermarkte muss mer nur!“ Da spricht Schramma aus Erfahrung, denn als Trumpf-As der CDU wird der OB auf allen Kanälen vermarktet. Übers ganze Jahr ist er aus Vereinsleben und Brauchtum nicht wegzudenken, besonders in der Session ist seine Medienpräsenz nicht zu überbieten. Dazu sorgt sein Büro für die tägliche Presseerklärung. Dass der OB im Rat auch schon mal gegen die eigene Vorlage stimmte, wen interessiert das schon? Und nun. Der dritte März, der Einsturz des Historischen Archivs und der Nachbarhäuser. Schramma blieb auch in dieser schweren Stunde ganz er selbst, menschlich betroffen und fürsorglich. Aber er wirkte deutlich überfordert. Denn schon in ruhigen Zeiten ist er kein Macher und Verwaltungschef. Den U-Bahnbau hielt er angesichts der Trümmer spontan in „bewohnten Städten“ für „verantwortungslos“. Über Tage forderte er von den stadteigenen KVB einen vorübergehenden Baustopp, den Krisensitzungen der zuständigen Aufsichtsgremien blieb er fern. Mitten in der Krise verschwand er einen Tag nach Österreich, um Frau und Koffer aus dem Urlaub heim zu holen. Nicht nur deshalb wird ihm eine „gewisse Abwesenheit“ angedichtet. Ein OB als Phantom.
Kennen Sie übrigens Jürgen Roters? Nein? Macht nichts, denn der von Grünen und SPD gekürte Kandidat für die anstehende OB-Wahl kommt in der Öffentlichkeit nur selten vor. Es gibt ihn aber, denn in seiner Zeit als Regierungspräsident zu Köln hat er den U-Bahnbau in der Südstadt genehmigt. Schramma gegen Roters heißt also das Duell. Ob es am 30. August wirklich stattfinden wird, ist eine andere Frage. Ein von der CDU/FDP-Landesregierung nach Gutdünken festgelegter Wahltermin wurde bereits vom Landesverfassungsgericht aufgehoben. Gegen den Ausweichtermin im August stehen nun erneut zwei Beschwerden im Raum. Gute Chancen, dass der 30. August ein Phantomtermin bleibt.
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