Nach zwei Dritteln der Inszenierung verlassen die Tänzer die Bühne, jemand hat sie zum Kaffeetrinken nach draußen gerufen. Das Publikum bleibt ratlos zurück, diskutiert, ob das Spiel zu Ende sei. Man beschließt, jemand zu schicken, der nach hört, und tatsächlich, es geht weiter. Ein verstörender Moment in Karel Vaneks Choreographie „Fantom Freedom“. Alles scheint jedenfalls nicht möglich zu sein, dort, wo es um das Thema Freiheit geht. Und Medien wie Facebook und Twitter sind ja auch nur scheinbar Symbole für ein Freiheitsgefühl, das längst im belanglosen Gesimse der Alltagsereignisse verschüttet wurde.
An diese Einsicht gelangt Karel Vanek augenzwinkernd am Ende seiner Choreographie, die den Titel „Fantom Freedom“ trägt. Eine Produktion, die im Rahmen des Festivals tanz nrw durchs Land geschickt wird. Karel Vanek nähert sich seinem Thema nicht als Philosoph im Gedankenexperiment, sondern handfest über seine Biografie. Geboren in der Tschechoslowakei und als strammer sozialistischer Pionier gehörten Hund Laika und Astronaut Juri Gagarin zu seinen ersten Helden. Stück für Stück arbeitet sich Vanek durch die Zeit vom Prager Frühling bis in die Gegenwart vor. Jeweils ein paar einleitende Sätze am Mikrophon für das Publikum, dann folgt die Choreographie, die er mit Lina Puodziukaite und Olaf Reinecke tanzt, beide mit viel Potential, das sie leider nicht voll ausschöpfen müssen. Keine elegante Regie-Konstruktion, dafür wird jedoch viel getanzt. Die getanzten Passagen sehen flüssig aus, weil die Bewegungen aus dem Körperschwung, den die Tänzer aufbauen, herauskatapultiert werden. Vanek greift nicht auf Bilder und Metaphern zurück, aber er legt Muster an. Immer wieder findet man den Verweis auf Uniformes und je mehr er sich der Gegenwart nähert, umso öfter zeigt er, wie das Stereotype regiert. Im Grunde wird hier das Scheitern der Freiheit demonstriert, sie bleibt ein Phantom.
Menschen vermögen die Freiheit nicht selbst zu definieren, sondern bleiben Opfer der gedanklichen Schablonen, die ihre Gesellschaft ihnen vorgibt. Besonders originell gelingt Vanek dieser Kommentar zu Beginn, wenn die Tänzer gleich Käfern in unterschiedlichen Bewegungsmustern über die Bühne hasten, verzweifelt nach Orientierung suchen. Man sieht, dass Vanek wesentlich reifer mit abstrakten Themen umzugehen versteht, als viele seiner jüngeren Kollegen. Das gibt seiner Produktion jene Substanz, die in den fleißig getanzten Passagen, die nichts wirklich Neues auf dem Tanzboden zeigen, etwas üppiger hätte angelegt sein können.
Nächster Termin:
Fr 13.5. 20 Uhr I Theater im Ballsaal Bonn I 0228 79 79 01
www.tanz-nrw-11.de
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