choices: Herr Klaus, Sie arbeiten seit einigen Jahren verstärkt mit Komponisten zusammen. Daraus sind „Stücke für Musik“ wie jetzt „Gabe/Gift“ entstanden, aber auch veritable Opern. Wie kam es dazu?
Händl Klaus: Ich schreibe schon sehr lange Libretti, aber es hat gedauert, bis ich Kontakt zu Komponisten, zu Beat Furrer, Klaus Lang oder Georg Friedrich Haas
gefunden habe. Von Georg habe ich vor 16 Jahren die Kammeroper „Nacht“ im Radio gehört, die mich entflammt hat. Das war ein Erweckungserlebnis. Ich habe mir dann die CD gekauft, und das wiederholte Hören löste einen Opernstoff aus, von dem ich fand, dass er der Temperatur von Georg Friedrich Haas‘ Musik entspricht. Das war „Bluthaus“. Aber ich habe nie mit einer Begegnung gerechnet. Als ich dann vor drei Jahren den Auftrag zu einem Libretto für Georg bekam, habe ich ihm diesen frühen Stoff erläutert und dabei offene Türen eingerannt. Dass „Bluthaus“ dann vor dem Hintergrund der Kampusch-Fritzl-Verbrechen interpretiert wurde, war eher ein Missverständnis.
In der Regel verlangt die Oper eher zurückhaltendes Textmaterial, das der Musik Deutungsräume eröffnet. Verschafft die Musik Ihnen als Autor neue Freiräume?
Meine Texte sind ganz konkret gedacht und handfest gebaut, da ist nichts vage. Jedes Wort entspringt, psychologisch gesehen, den Charakteren. Es hat schon seinen Grund, warum die Anni Zilcher das eine sagt und der Bert Müllert etwas anderes. Manchmal klingen aber auch Dinge an, die sich nicht direkt sagen lassen. Wir haben es ja ganz oft mit dem Unsagbaren zu tun. Tatschlich geht es bei der Musik um eine Übersetzung in einen anderen Aggregatzustand, um eine Überführung in ein Mehr, ums Unsagbare, das greifbar wird.
Was ist bei Ernst Surberg, der die Musik zu Gabe/Gift schreibt, das Besondere?
„Gabe/Gift“ ist zwar ein Stück „für“ Musik, dabei aber ein echtes „Sprechstück“, keine Opernpartitur mit geführten Singstimmen. Ein Opernkomponist würde sich den Text bis zur Unkenntlichkeit aneignen, bei Ernst Surberg wird alles kenntlich bleiben. Die Sprache arbeitet stark mit dem Verschweigen, und das tut Ernst auch. Er nimmt Spuren auf und folgt ihnen in musikalischen Suchbewegungen. Das kann auch Stille bedeuten, die seit John Cage als Musik gelten darf, es ist manchmal das gemeinsame Innehalten der Täter oder ein Klopfen in der Heizung: Musik! Es geht hier nicht um die Vertonung des Stücks, sondern um zwei Kräfte, die miteinander wirken.
Im Stück spielt die Polizei eine wichtige Rolle, nicht zum ersten Mal in Ihren Stücken.
Die Polizei als Exekutive hat eine Macht, die mich ängstigt. Allein den Vorgang, meinen Ausweis verlangen und meine Identität kontrollieren zu können, empfinde ich als Übergriff. „Gabe/Gift“ ist der letzte Teil einer Trilogie, der „Die Polizei“ heißt und aus lauter „musikalischen Stücken“ besteht. In denen geht es jeweils um Polizisten als Täter – ordentliche Menschen, die mit einer unguten Macht ausgestattet sind. Das erste, „Furcht und Zittern“, ist noch ein waschechtes Singspiel, dem folgt mit „Eine Schneise“ ein Musikstück. „Gabe/Gift“ schließlich ist ein Stück für Musik – es findet also so eine fortlaufende Distanzierung von der Musik statt.
In Ihrem neuen Stück sind es drei Familien, darunter drei Polizisten, die auf Schatzsuche gehen?
Die freunden sich miteinander an, ja. Es herrscht sogleich Komplizenschaft zwischen den Polizisten der Stadt und den auswärtigen Kollegen. Sie leisten sich den Übergriff, in einem fremden Garten zu stöbern. Aber als Polizei sind sie auf der Habenseite, die Anrainer brauchen sie gar nicht mehr zu rufen, weil die Polizei schon da ist. Da greift so ein Hunger, eine Gier, die sich schon im ersten Spatenstich abbildet, als die da um die Wette graben: Man will Sicherheit oder wenigstens Gewissheit. Im Grunde sind es Bilder eines Familienlebens, Rituale zwischen Mutter und Vater und Sohn, Spiele, auch zwischen den Nachbarn – Lebensentwürfe.
Ein ziemlich abgründiges Familienleben mit stark inzestuöser Schlagseite.
Die Müllerts formulieren frisch und froh, woran sie sind. Das erlaubt ihnen immerhin, offen miteinander umzugehen. Das macht es nicht unbedingt gemütlicher. Das Messer ist hier ein eigenes Familienmitglied (lacht). Und die Freundlichkeit ist zweischneidig. Immerhin bringen sie sich nicht gegenseitig um. Das besorgt vielleicht ein anderer.
Das übernimmt dann die Schatzkiste, die in den Erfrischungsraum geschleppt wird.
Man gelangt in den Erfrischungsraum und verliert womöglich sein Leben. Aber das blüht uns allen.
Sie haben ein Dialogverfahren entwickelt, das quasi einen Satz Wort für Wort, manchmal sogar Silbe für Silbe auf verschiedene Figuren verteilt.
Die Figuren sind Komplizen; man bildet gemeinsam einen Sprachkörper aus. Andererseits ringt jeder auch um die Oberhoheit, um die Richtung beziehungsweise den Sinn, der sich dauernd dreht und wendet, bis jemand schließlich doch das letzte Wort behält. Mit diesem letzten Wort kehrt sich dann manchmal wieder alles um. Und erst, wenn der Satz verklungen ist, weiß man, woran man ist – oder gewesen ist. Entstanden ist diese Form für ein frühes Stück, „(WILDE)Mann mit traurigen Augen“, als „Familiensprache“ – da hat sich eine Familie so, sprachlich, einen Gast einverleibt – ihn aufgelöst.
Wie schwierig ist dieser Art des Sprechens für die Darsteller?
Es ist eine Herausforderung – wie im chorischen Sprechen, das ständig in seine Einzelstimmen zerfällt: mit unterschiedlichen Rhythmen, mit Brüchen. Das Ganze lässt sich nur im Kollektiv erlernen. Man muss sich also buchstäblich aufeinander einlassen, man muss hellhörig sein und miteinander atmen und denken. Wir haben hier in Köln wundervolle Schauspieler, die dazu bereit sind.
„Gabe / Gift“ von Händl Klaus | Schauspiel Köln/Halle Kalk | 8.(P)/9./12.-14./16.3. 19.30 Uhr | 0221 22 12 84 00 | www.schauspielkoeln.de
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