Stückentwicklungen gehören zum Alltag des Jugendtheaters. Dass allerdings Schüler gemeinsam mit einem Regisseur ein Theaterstück verfassen und es auf die Bühne bringen, dürfte nicht so häufig vorkommen. Unter dem Titel „Das letzte Aufgebot“ bringt das Junge Theater Bonn jetzt einen Abend über den Volkssturm, das letzte bellizistische Zucken des Naziregimes heraus – geschrieben von Intendant Moritz Seibert und den jungen Darstellern Oscar Kafsack, Fabiola Mon de la Fuente und Karl Junker. Ein mit Holzbohlen eingefasster Kartoffelacker, der auch als Exerzierfeld oder Boxring zum Einsatz kommt, dient als Spielfläche. Hier werden erste Liebeserklärungen gemacht, hier finden die paramilitärischen Übungen der HJ statt.
Im Zentrum steht der 15-jährige Jakob, dessen Vater vermutlich gefallen ist, der mit Kartoffelklau zum Überleben beiträgt, die junge Maria liebt und sich gegen den Rat seiner Mutter zum Volkssturm meldet. Moritz Seibert inszeniert das Geschehen realistisch ohne Überhöhung, gelegentlich nimmt das Exerziergebrüll etwas Überhand. Erste Liebe, erster Alkohol und der Krieg als Phänomen zwischen Heldenreservoir, Coming of Age-Traum und Tod – das sind die Koordinaten der Nazi-Jugend. Maria entpuppt sich als geflüchtete Jüdin und aus dem Volkssturm-Drama wird plötzlich ein Stück über Verrat, Desertion und Liebe. Jakob und Maria verstecken sich im Wald – bis es zum Showdown mit Happy End kommt. Bei allem Realismus, bei allen plötzlichen Wendungen des Plots, wie die jungen Darsteller die emotionalen Zwangslagen, die Hoffnungen und Enttäuschungen der Jugendlichen spielen, macht den Abend sehenswert.
„Das letzte Aufgebot“ | R: Moritz Seibert | wieder im Oktober | Junges Theater Bonn | 0228 46 36 72
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Bessere Bezahlung für freie Kunst
NRW führt Honoraruntergrenzen ein – Theater in NRW 08/24
Gegen Ausbeutung und Machtmissbrauch
Klassenkämpferischer Wind weht durch die Theater – Theater in NRW 02/23
Bessere Konditionen
EU stärkt Solo-Selbstständige im Theater – Theater in NRW 11/22
Dunkle Fassaden
Das Theater und die Energiekrise – Theater in NRW 09/22
Freunde und Netzwerke
In Dortmund wurde ein neuer Festivalverbund gegründet – Theater in NRW 03/22
Berufsziel: Prekarisierung
Kulturrat stellt Studie zum Arbeitsmarkt Kultur vor – Theater in NRW 08/20
Die Schaubühne als weibliche Anstalt
Theaterfrauen in und aus NRW ausgezeichnet – Theater in NRW 12/19
Mülheim war schon immer schneller
Roberto Ciulli bekommt den Theaterpreis Faust – Theater in NRW 11/19
Verschleierungstaktik
Realistische Kosten der Kölner Bühnen-Sanierung – Theater in NRW 10/19
Ja, mach nur einen Plan…
In Köln wurde die Initiative Freies Theater gegründet – Theater in NRW 09/19
„Fehler identifizieren, Fehler heilen“
Bernd Streitberger über die Sanierung der Bühnen Köln – Premiere 08/19
Geschichten am Lagerfeuer
Das Freiluftfestival im Friedenspark – Bühne 07/19
Klamauk und Trauer
„Die Brüder Löwenherz“ in Bonn – Theater am Rhein 01/25
Ein Bild von einem Mann
„Nachtland“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 12/24
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
Im Land der Täter
„Fremd“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 12/24
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24
Der Untergang
„Liquid“ von Wehr51 – Theater am Rhein 07/24
Gefährlicher Nonsens
Kabarettist Uli Masuth mit „Lügen und andere Wahrheiten“ in Köln – Theater am Rhein 07/24
Den Schmerz besiegen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn – Theater am Rhein 07/24
Alles über Füchse
„Foxx“ in den Ehrenfeldstudios – Theater am Rhein 07/24
Vergessene Frauen
„Heureka!“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 06/24