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Systemfrage

09. Juli 2020

Intro - Corona macht arm

Die Corona-Krise trifft Arm und Reich gleichermaßen. Ein Virus fragt schließlich nicht nach Vermögen oder Einkommen. – Ist das so? Millionen von Menschen sind schon bislang nur knapp über die Runden gekommen, leben als Familien auf engstem Raum oder sind auf häusliche Pflege angewiesen. Selbstverständlich trifft es sie härter als andere, die krisenfest ausgesorgt haben, auf privatem Grund Ausgangsbeschränkungen überdauern oder sich angesichts körperlicher Gebrechen längst mit teuren Umbauten behelfen konnten. Zugegeben, für Solidarität bieten die letzten Wochen und Monate erfreulich viele Beispiele. Trotzdem konkurrieren nun von Konzernen über Firmen bis zu Solo-Selbständigen sehr unterschiedliche Akteure und Gruppen um Hilfsgelder und politischen Einfluss. Kurzum: Die Krise eint nicht. Eher vergrößert sie manchen Spalt.

 

Die Hilfsgelder sprengen vertraute Größenordnungen. Aber der Zweifel bleibt, ob das annähernd genügen kann, die sozialen, wirtschaftlichen und psychischen Folgen in den Griff zu bekommen: die Corona-Krise prägt unzählige Lebensläufe durch Arbeitsplatzverluste, Unterrichtsausfälle,  Erfahrungen von Einsamkeit oder familiärer Gewalt. Im gesellschaftspolitischen Monatsthema HOTSPOT NRW fragen wir, wen die Krise besonders hart trifft, wie gerechte Hilfe aussehen kann und vor welchen Herausforderungen die Staatengemeinschaft steht; wir heben den Blick also auch über NRW hinaus.

 

Unsere Leitartikel wägen ab, wie verhängnisvoll die Krise zu einem weltweiten Anstieg von Armut und Konflikten führen könnte, und, mit Blick auf NRW und das Ruhrgebiet, wie sich die Kosten gerecht verteilen lassen und was die Kontaktbeschränkungen für Hilfsbedürftige bedeuten, die beispielsweise auf die Hilfe der Tafeln angewiesen sind.

 

In unseren Interviews wirbt Tobias Hauschild von der Hilfsorganisation Oxfam dafür, dass die Staaten  geschlossen gegen Ungleichheit und Armut vorgehen, der Vermögensforscher Thomas Druyen erklärt, warum Vermögende nun besondere Verantwortung tragen und die Berliner Tafelgründerin Sabine Werth beschreibt die Not von Bedürftigen und Obdachlosen.

 

Wir besuchen die Kölner Kulturliste, mit deren Hilfe Bedürftige am Kulturleben teilhaben können und die Wuppertaler Tafel, die neben der Essensausgabe viele weitere Hilfen anbietet. Schließlich schauen wir nach Spanien, dessen Linkskoalition anlässlich der Corona-Krise die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen vorantreibt.

 

Die Corona-Krise legt schonungslos offen, wie zerbrechlich die Existenzen von Millionen Menschen sind, sogar solcher, die sich selbst zuvor niemals als gefährdet angesehen hätten. Die Armutsfrage ist endgültig in der sogenannten Mitte der Gesellschaft angekommen. Ihre Lösung ist ungewiss – und könnte schmerzhaft werden: Stellt eine Gesellschaft die Armutsfrage, dann stellt sie sich selbst infrage. Dafür ist es offenbar höchste Zeit.

Dino Kosjak / Chefredaktion

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