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Regisseurin Charlotte Sprenger
Foto: Jan Schliecker

„In jedem von uns steckt ein Alex“

14. Januar 2018

Charlotte Sprenger über „Clockwork Orange“ am Theater der Keller – Premiere 01/18

Wenn sie sich nicht selber streiten, terrorisiert der hedonistische Alex mit seiner Gang die braven Bürger der Großstadt. Schließlich erwischt ihn die Polizei und ein Politiker gewinnt ihn für eine experimentelle Therapie, die ihn gesellschaftstauglich machen soll. Anthony Burgess‘ vom Protagonisten erzählte Geschichte um Macht und Gewalt, Staat und Individuum wurde 1971 von Stanley Kubrick verfilmt. Charlotte Sprenger (27) inszeniert ihre Bühnenfassung am Theater der Keller als eine der letzten Premieren in diesem Gebäude. Die Hamburgerin ist seit der Spielzeit 2013/2014 am Schauspiel Köln beheimatet, zunächst als Regieassistentin, und inszenierte dort u.a. „Die roten Schuhe“, „Familiengeschichten. Belgrad“, „Kleines“ und zuletzt „Alles, was ich nicht erinnere“. 2016/17 war sie Teil des Britney-Kuratorenteams am Offenbachplatz.

choices: Charlotte, nach „Das Tierreich“ arbeitest du am Theater der Keller wieder mit Studenten der Schauspielschule zusammen.
Charlotte Sprenger:
Im letzten Jahr habe ich mit einer Abschlussklasse gearbeitet – drei aus dem „Tierreich“ sind auch wieder dabei und zwei von denen – Denis Merzbach und Frank Casali – sind inzwischen fertig und auf dem „freien Markt“. Liliom Lewald war beim „Tierreich“ noch in die Klasse dazugekommen und wurde von mir dazu gecastet, weil jemand ausgestiegen war. Mit den dreien wollte ich wieder arbeiten, und dann habe ich noch zwei aus der Schule übernommen, Madieu Nguyen und Markus Bachmann.

Du hast dir keinen einfachen Stoff ausgesucht, wenn man daran denkt, welchen Stellenwert Gewalt in dem Buch einnimmt. Hältst du dich da zurück?
Ich glaube, man kann nicht „Clockwork Orange“ machen, ohne sich dem Thema Gewalt zu widmen. Der ganze Text handelt von Gewalttätigkeit auf vielen verschiedenen Ebenen. Alex ist gewalttätig, lebt aber auch in einem gewalttätigen System. Bei uns ist es so, dass eigentlich das System von ihm selber sozusagen geführt wird – alle spielen Alex, spielen aber auch das System um ihn herum. Im Endeffekt sind all die Personen, die vorkommen, wie eine multiple Persönlichkeit, aber auch wie ein Traum von ihm selber. Es gibt schon länger diese Interpretation von dem Stoff, dass die ganze Gewalttätigkeit, auch die, die ihm angetan wird, wie eine Fantasie ist. Um aber auf die Frage zurückzukommen, mich hat die Gewalt daran total interessiert, aber nicht als die Gewaltverherrlichung an sich, sondern was ist die Gewalt als Akt? Was ist Gewalt als Lösung für eine Hilflosigkeit oder eine Orientierungslosigkeit – in einer Welt, die dir keine Grenzen zeigt? Eine Welt, wenn man das auf heute beziehen möchte, die dir zwar eine große Freiheit bietet, gleichzeitig aber in vielen Bereichen wenig Halt bietet.


„Clockwork Orange“ am Theater der Keller, Foto: Meyer Originals

Machst du das derzeit in der Gesellschaft an irgendetwas fest, was dir besonders aufgefallen ist?
Grundsätzlich bin ich zu einem Punkt gekommen, wenn man erwachsener wird, dass man merkt, dass die Welt nicht so einfach ist. Dass es nicht böse Menschen und gute Menschen gibt, sondern dass man vielleicht selber auch nicht so gut ist, wie man immer denkt. Und dass in jedem von uns irgendwie ein Alex auf eine Art steckt. Das heißt aber nicht, dass der Mensch von Grund auf böse ist – diese These würde ich jetzt gar nicht vertreten.

Alex ist ja wohl auch nicht von Grund auf böse.
Das ist eben die Frage. Es gibt schon grundsätzlich sehr, sehr unterschiedliche Interpretationen von dieser Figur, was sie natürlich auch so interessant macht, und sehr viele unterschiedliche Möglichkeiten. Ich habe versucht, den Alex in mir zu finden: Also nicht, wo ich jetzt jemanden geprügelt hätte – das mache ich nicht – aber was ist Gewalt überhaupt und wann ist man gewalttätig jemandem gegenüber. Eine Trennung kann ja auch sehr gewalttätig sein, in einer Liebesbeziehung. Gewalt kann sehr viele Facetten haben und es ist nicht so einfach über Menschen zu urteilen. Das hat mich interessiert und das Buch bietet sehr viele Anknüpfungspunkte an die Figur, was ich sehr mag. Dieser Alex ist ein unglaublich charmanter Erzähler und dadurch kriegt man sehr schnell Zugang zu ihm. Das macht es natürlich einfacher und dadurch bringt es auch unglaublich viel Spaß. Man muss das auch ein bisschen als Satire verstehen, vor allem, wie er die Welt sieht, die Politiker oder die Ärzte. Aber auch da: Nur weil eine Figur witzig ist, heißt das ja nicht, dass sie nicht genauso böse ist wie eine ernste Figur.

Hat sich das Stück so entwickelt wie du gedacht hast oder ist es in eine überraschende Richtung gegangen?
Ich war mir sehr klar darüber, dass ich nicht so ein Interesse daran habe, dauernd Prügelszenen zu zeigen, sondern dass ich die Gewalt viel mehr über die Sprache und über das Verhältnis von den Körpern zum Raum und zueinander zeigen will, und auch über die Komik – was ein Aspekt ist, den ich sogar unterschätzt habe. Der Abend ist bis jetzt sehr viel komischer geworden, als ich ihn erstmal angedacht hatte. Je mehr ich mich mit dem Text beschäftigt habe, desto mehr ist mir auch Lustiges dazu eingefallen. (lacht)


„Clockwork Orange“, Foto: Meyer Originals

Wann hast du mit dem Stück begonnen und hat dir bei dem Text jemand geholfen?
Ich habe im Sommer angefangen, richtig aktiv daran zu arbeiten, aber entschieden hatte ich schon vorher. Hier ist noch eine Dramaturgin am Haus und ich habe noch mit einer Dramaturgin zusammen die Textfassung gemacht, mit der ich schon zwei Arbeiten zusammen gemacht habe.

Ist in der Inszenierung etwas von Kubrick mit drin?
Wenig.

Denkst du denn an ihn?
Ja, die ganze Zeit. Ich finde den Film wahnsinnig toll. Was aber interessant war, gerade als ich anfing zu arbeiten – man denkt natürlich viel dran und wie er schlau das gemacht hat – aber seine Arbeit ist vor allem wahnsinnig entschieden. Er hat genau gewusst, was er mit dem Stoff erzählen will, und dadurch ist das eine sehr eigene Interpretation von dem Buch. Ich bin mehr vom Buch ausgegangen und da passieren schon noch andere Sachen. Der Film ist natürlich jetzt auch schon ein bisschen älter, aber er verliert auf keinen Fall jemals an Brisanz oder Genialität, in der Art, wie er gemacht ist oder wie er gespielt ist. Was ich vor allem toll finde an dem Film, ist, dass eigentlich diese Boshaftigkeit, ohne das in irgendeiner Form zu verkitschen, so stark vom System auf diesen jungen Mann projiziert wird, dass man das Gefühl hat, er kann gar nicht anders als so sein. Das war Kubrick wichtig zu zeigen: Wie kann man in der Welt, die so ist, wie er sie da zeigt, anders sein. Er zeigt eine Überhöhung unserer Welt, die aber schon ein Spiegelbild ist.

Ist denn das, was Alex und seine Gruppe machen, für dich eher Aggression oder Rebellion?
Es ist natürlich schon Aggression, jedenfalls weiß er, glaube ich, gar nicht so richtig, wogegen er rebelliert. Ich glaube, das kommt erst zum Ende, dass er das so ein bisschen versteht, was eigentlich Freiheit ist und was seine Freiheit vorher auch bedeutet hat, bevor er konditioniert wird. Und dann beginnt er vielleicht zu verstehen, dass er rebelliert hat. Aber er rebelliert in keinster Weise reflektiert. Ich glaube, wenn er gegen jemanden rebelliert, dann erstmal gegen sich oder gegen einen Schmerz, den er verspürt. Ich glaube, dass Aggression sehr viel mit Schmerz zu tun hat, im Endeffekt. Gewalt hat viel damit zu tun, dass man sich spüren möchte.

Das ist ja auch bei „Hool“ jetzt ein Thema. Siehst du da Parallelen?
Ich fand’s lustig, das zu sehen, weil es natürlich irgendwas miteinander zu tun hat, und gleichzeitig finde ich es sehr unterschiedlich. Das Stück geht ja sehr auf das Milieu ein, wo kommt man her, während Burgess seine Geschichte jeglichem Milieu fast enthebt – es ist ein bürgerlicher, eher neutraler Hintergrund.

Wie erlebst du den Unterschied zwischen der Arbeit an städtischen Bühnen und kleineren Bühnen?
Natürlich muss man viel mehr selbst tun, weil der Apparat nicht so mitläuft – das hat Vor- und Nachteile. Hier ist es intimer, man ist ein bisschen freier, ein bisschen mehr allein und man ist befreit von den Zwängen des Apparats, den er ja manchmal auch haben kann – Abgaben und so weiter. Das ist hier flexibler. Aber der Apparat ist natürlich auch etwas Tolles, wenn man an die vielen Spezialisten etwa im Bereich der Tontechnik denkt oder an die Kostüme, dass man Sachen schneidern lassen kann. Dass so viele Leute an so einem Prozess beteiligt sind, finde ich auch immer etwas sehr Schönes.

Wie blickst du auf deine Kuratoren-Zeit am Britney zurück?
Es war eine schöne Zeit. Wir sind auch alle noch in Kontakt, die Gruppe ist keineswegs total aufgelöst, sondern es wird auch immer wieder Pläne geben, etwas zusammen zu machen. Vielleicht sogar mit dem Schauspiel Köln, das steht noch so bisschen in den Sternen, weil wir alle viele andere Sachen machen. Und das ist auch gut, wir müssen jetzt auch mal so ein bisschen raus.

„Clockwork Orange“ | R: Charlotte Sprenger | 18.(P), 19., 27.1., 3., 17., 28.2., 3.3. 20 Uhr | Theater der Keller | 0221 31 80 59

Interview: Jan Schliecker

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