Landpfarrer Ivan (Jörg Ratjen) ist ein moderner Hiob. Einer, der mit seinem unerschütterlichen, fast schon blinden Glauben an das Gute seinem lieben Gott dabei hilft, eine Wette mit dem Teufel zu gewinnen. Einer, der an seinem Glauben festhält, obwohl es nichts gibt in seinem Leben, das diesen Glauben rechtfertigen könnte. Seine Mutter starb bei der Geburt, der Vater missbrauchte ihn, seine Frau nahm sich das Leben, sein Sohn ist spastisch gelähmt und er selbst hat einen Tumor im Kopf. Dennoch steht für Ivan fest: „Gott ist auf meiner Seite.“
Als eine Art Passionsspiel inszeniert die schwedische Theaterregisseurin Therese Willstedt die Erweckungskomödie „Adams Äpfel“ nach dem gleichnamigen Film von Anders Thomas Jensen. Willstedt übersetzt die Konfliktkonstellationen weitestgehend in (Stand-)Bilder, die sich an die christliche Ikonographie anlehnen. Das macht die Inszenierung lange Zeit schwerfällig.
Vor dem Hintergrund der Bildsprache entbehrt es aber nicht einer gewissen Ironie, dass der aus Balken gefertigte Bau im Zentrum der Bühne (Nehle Balkhausen) eher an ein Schafott, ein Blutgerüst der Güte, erinnert, als an eine Kirche. Daran ändert auch das Kruzifix nichts mit einem Jesus, dessen linker Arm schlaff an der genagelten Hand vom Querbalken hängt.
So trostlos wie dieser Jesus ist auch die Resozialisierungsbilanz von Pfarrer Ivan, die unter seinem zweiten Glaubensaxiom „Es gibt keine schlechten Menschen“ steht. Selbst die schwärzeste Seele tüncht Ivan störrisch weiß: Da ist der Alkoholiker und Vergewaltiger Gunnar (Nikolaus Benda), der trotz Resozialisierungsmaßnahmen in Ivans Obhut immer noch regelmäßig loszieht, um Frauen zu missbrauchen; oder der Waffennarr und Gewohnheitstankstellenräuber Khalid (Mohamed Achour), dessen Finger unter Stress ganz schnell am Abzug ist; oder der ehemalige KZ-Kapo Poul (Horst Sommerfeld), der nur langsam seine Vergangenheit bereut und dahinstirbt, während das Ensemble mehrstimmig das Kirchenlied „Herr deine Liebe ist wie Gras und Ufer“ singt.
In die Reihe der eingebildeten Erfolge seines Besserungsprojekts für Straftäter, will Ivan nun auch den Neonazi Adam (Robert Dölle) mit Hitler-Tattoo auf dem Bauch, vom rechten Weg zurück auf den Pfad der Tugend führen. Adam soll einen Apfelbaum, der von biblischen Plagen heimgesucht wird, beschützen und mit den Früchten einen Apfelkuchen backen. Doch zuvor wird Adam zum Prüfstein für Ivans Glaubensfestigkeit.
Mit den Fäusten scheitert er zunächst. Doch mit der Bibel in der Hand konfrontiert er Ivan mit Hiobs Geschichte und klebt ihm die entscheidenden Buchseiten in einer starken Szene an den blutigen Kopf. Mit der Konfrontation zwischen Adam und Ivan nimmt auch der Abend endlich Fahrt auf und Adam bricht die Unerschütterlichkeit des Pfarrers – ein Projekt übrigens, an dem der zynische und wissenschaftsgläubige Arzt Kolberg, gespielt von einem Martin Reinke in Höchstform, bisher stets gescheitert war.
Erst mit dem Auftauchen von Esben (Simon Kirsch), dem anzugtragenden Neonazi-Freund von Adam, erkennt dieser, dass er auf den guten Irrglauben Ivans angewiesen ist, wenn er die Kurve irgendwie kriegen will. Und die Freude über den mickrigsten Apfelkuchen der Theatergeschichte ist am Ende riesig – obwohl ohne Zucker gebacken.
Dennoch, wirklich zu überzeugen weiß Willstedts Abend nicht: zu statisch sind viele Arrangements geraten, zu unscharf die Konturen einiger Figuren – so erfährt der Zuschauer nichts über die Vorgeschichte Adams. Zu überzeugen weiß hingegen das Ensemble: Das Grammatikduell zwischen Khalid („Mach dir vom Acker!“) und Esben („Das heißt: Mach dich vom Acker!“) ist witzig und selten rasant. Ganz stark ist auch die Vergewaltigung der alkoholkranken Sarah (Annika Schilling) durch Gunnar geraten: Die brillant choreografierte Szene schafft es, sich dem latenten Schwarz-Weiß-Schema von Willstedts Inszenierung zu entziehen, um vielmehr zwischen Unerträglichkeit und Anmut zu flirren.
„Adams Äpfel“ | R: Therese Willstedt | 25.12., 6., 7., 13., 21.1. je 19.30 Uhr, 15.1. 18 Uhr | Schauspiel Köln, Depot 1 | 0221 221 284 00
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