Für die Tanzbühnen in Nordrhein-Westfalen geht in diesem Monat eine erfolgreiche Spielzeit zu Ende. Die Auslastung der Tanz- und Ballettvorstellungen hat deutlich zugenommen. Profiteure dieser Entwicklung sind vor allem Düsseldorf, Duisburg und Dortmund. Die fußballbegeisterten Dortmunder hat Ballettchef Xin Peng Wang mit einer Mischung aus Klassik, Neoklassik und zeitgenössischem Tanz auch zu Tanz-Fans gemacht. Mit „identities“, einer Tanz-Installation, geht er nun ganz neue Wege. Diese beschreitet man auch beim Düsseldorfer Ballett am Rhein. Als Choreograf Martin Schläpfer 2009 dort antrat, verordnete er sogleich eine radikale Verjüngungskur: Weg von den romantischen Handlungsballetten und hin zu einem modernen Ballett mit vorwiegend neoklassischer Ausrichtung. Das Publikum goutierte die 180-Grad-Wende und applaudiert der oft nüchtern-abstrakten Ästhetik der Neoklassik heute genauso begeistert wie zuvor den pittoresken Ausstattungsorgien der Klassik. Dabei sein scheint alles zu sein. Selten ging ein Richtungswechsel so komplikationslos über die Bühne. Das muss selbst Schläpfer überrascht haben, der seitdem etwas provokanter wirkt. Oder was mag ihn bewogen haben, ausgerechnet im Hochsommer ein Ballett zur Trauermusik von Johannes Brahms zu machen? Uraufgeführt wird „(S)Ein Deutsches Requiem“ am ersten Juli. Schläpfer gilt ja nicht nur als kreativ, sondern auch als äußerst fleißig. Vier Uraufführungen in einer Spielzeit sind einsamer Rekord. Darunter auch eines der deutschlandweit außergewöhnlichsten Ballette: „Neither“, bei dem 48 Tänzer auf der Bühne eine tänzerische Szenerie à la Hieronymus Bosch schaffen.
Ausverkaufte Häuser und eine steigende Nachfrage nach Tanz verzeichnen auch die Gastspielserien an den Bühnen in Köln und Bonn, wo der Tanz als eigenständige Sparte längst abgeschafft ist. Auch wenn die Gastspiele stilistische Vielfalt bieten, bleibt das Angebot doch ein zufällig verfügbarer Warenkorb aus Tanzproduktionen. Ein Highlight des Tanzes in Köln wird am ersten Juli vom Béjart Ballet Lausanne serviert (Feuervogel, Bolero), das andere ist an der Oper Bonn am neunten Juli zu sehen: der Ballett-Klassiker „Giselle“, allerdings in der kantig-modernen Version von Mats Ek.
Nicht nur die städtischen Bühnen profitieren vom zunehmenden Interesse an Tanz. Auch für die freie Szene, die es ungleich schwerer hat, war die letzte Spielzeit erfolgreich. Seit 2010 geht es wieder aufwärts, wie der bisher noch unveröffentlichte „Bericht über selbstständige Choreografen und Tanzcompagnien in NRW“ des Landesbüros Tanz belegt. Das Tanzkonzept der vorherigen Landesregierung scheint damit erste Früchte zu tragen. Über die Ergebnisse dieser Umfrage wird hier in Kürze noch ausführlicher berichtet werden. Und damit der Tanz-Fan auch in den Ferien auf nichts verzichten muss, wird die Kölner Philharmonie im Sommer wieder zum Tanzpalast. Dort kann ab zweiten August das perfekte Entertainment des Alvin Ailey American Dance Theater bewundert werden.
„identities“ von Xing Peng Wenig I Theater Dortmund I Mi 6.7., Do 7.7. je 20 Uhr I 0231 502 72 22
„Ein Deutsches Requiem“ von Martin Schäpfer nach der Musik von Johannes Brahms I Ballett am Rhein Düsseldorf I Fr 1.7., Do 7.7., Di 12.7., Di. 19.7., Do 21.7. je 19.30 Uhr I 0211 892 52 11
„Giselle“ von Mats Ek I Opernhaus Bonn I Sa 9.7. 19.30 Uhr, So 10.7. 18 Uhr I 0228 77 80 08
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