Hagen gibt dem Ballett noch eine Chance. Münster verlängert dem Tanztheater-Chef den Vertrag. Dortmund baut das Ballett unter dem erfolgreichen Chef-Choreographen Xin Peng Wang zur „Dritten Sparte“ aus. Also alles doch nicht so schlimm mit dem Tanzsterben in NRW, wie ich es in meiner letzten Kolumne „Fünf vor zwölf“ beklagt habe?
Keineswegs. Denn neben den Total-Auflösungen kam es bei fast allen Ensembles im Land zu einem personellen Aderlass. Mit immer weniger Tänzern sollen abendfüllende Programme kreiert werden. Umso großartiger ist das Signal, das von Dortmund ausgeht. Xin Peng Wang hat mit seinem Ballett bewiesen, dass der Tanz ein Publikum hat! Von anfangs 9000 auf jetzt gut 35000 pro Jahr stiegen die Zuschauerzahlen. Längst spielt man in der internationalen Liga mit, steht künstlerisch gleichauf mit dem Aalto Ballett Essen. Und nun bekommt das Ballett Dortmund sogar ein repräsentatives Tanzhaus, das noch im Oktober eröffnet.
Von einem Tanzhaus können die Kölner derweil nur träumen. Seit gut 15 (in Worten: fünfzehn!) Jahren redet man darüber. Und damals stand der Tanz in Köln noch in voller Blüte. Inzwischen welkt er vor sich hin. Das Tanzhaus Düsseldorf feierte unlängst sein Zehnjähriges und Dortmund in Kürze seine Eröffnung. Nur in Köln wird immer noch geredet und geredet. Vor allem im Kulturamt klüngelt man lieber unter sich, lässt potentielle Leiter eines Tanzhauses davonziehen, lässt Tänzerinitiative und Öffentlichkeit seit Monaten im Dunkeln.
Anlass genug für Kajo Nelles vom Landesbüro Tanz, mit einem „Manifest Tanz in Köln“ nachzulegen. „Tanz denken“, fordert er und will die Marginalisierung des Tanzes in Köln mit einer Verbindung von städtischem Ensemble und freier Tanzszene überwinden. Er fordert ein Kunst-Ensemble aus Opernhaus, Schauspielhaus und Tanzhaus am gleichen Platz. Das nenne ich visionär! Pech nur, dass in Köln grad mal wieder an der Kultur gespart wird. Vorschläge zur Kosteneinsparung gab es auch schon. Raten Sie mal, wo? Genau, beim zukünftigen Ballett.
Gut also, dass wenigstens die freie Tanzszene in Köln floriert, sich sogar neue Gruppen hier niederlassen. Etwa Guido Markowitz mit seiner SoDance Company, die am 6./7.10. in der Orangerie Köln auftanzt. Oder Mateo Klemmayer, der gar eine freie Company für klassisches Ballett angekündigt hat. Oder das MichaelDouglas Collective, das die Tänzer von Pretty Ugly Tanz Köln gründeten. Doch die Lage ist gespannt: Alle Ensembles bestehen aus arbeitslosen oder teilzeitbeschäftigten Tänzern. Die freie Szene als Zufluchtsort für aufgelöste Tanzcompagnien? Tanzland und Kommunen werden sich darauf einstellen und mehr Mittel bereitstellen müssen. Eine in der Kölner Szene langjährig erprobte Choreographin ist Britta Lieberknecht. In ihrem neuen Stück „Berühren-Zerreißen“ (2.-4.10. Alte Feuerwache Köln; 15.10. Casa Nova Essen), einer hoch dramatischen Beziehungsgeschichte, fliegen regelrecht die Fetzen. Augenhöhe für den Tanz fordert Nelles. Berührung bringt Risiko, meint Lieberknecht. Der Tanz in Köln braucht beides.
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