„Wohin geht der Film?“ war ein Thema des diesjährigen blicke-Festivals. Medienkünstlerin Sonja Bernadette, Dozentin Senta Siewert, Professor Fosco Dubini und Leiter der Kurzfilmtage Lars Henrik Gass debattierten am Festival-Samstag, welchen Einfluss die schnelle Welt des WorldWideWeb, die neuen Medienplattformen und die immerwährende Verfügbarkeit von Informationen auf das Medium Film nehmen. Als die Bilder laufen lernten, war der Film eng gekoppelt an die Filmspielhäuser. Dafür wurden sie gemacht. Doch mit den neuen Publikationsmöglichkeiten veränderte sich auch das Format des Films. Es begann mit dem Fernseher, nun stehen wir vor Phänomenen wie YouTube, so Lars Henrik Gass. Diese Plattformen haben das Medium Film nachhaltig in seiner Ästhetik verändert. Für die Wandlung des Films spielt auch der ökonomische Aspekt eine Rolle, betont Fosco Dubini. Die Einflüsse des Marktes, der Kulturpolitik und der Filmförderung seien sehr komplex, aber auch dort seien Veränderungen spürbar. Zudem ermögliche die neue Technik, nämlich dass ein Film digital und nicht auf 35mm produziert werden könne, einen günstigeren Dreh, der mehr Kreativen die Tore zum Film öffnet. Diese Faktoren führen in ihrer Gesamtheit dazu, dass es Filme in allen Spielarten gäbe, in allen Lebensbereichen, was eine Diversifikation des Films bedeute.
Die beschriebene Entwicklung hat das blicke-Festival zu seinem Programm gemacht. Die Bandbreite der gezeigten Beiträge war dieses Jahr enorm: Auf der einen Seite die 20 Sekunden-Filme von Laien aus dem Ruhrgebiet über die Region, eine Sonderaktion zum 20-jährigen Jubiläum. Auf der anderen Seite abendfüllende Filme, gedreht von versierten Filmschaffenden mit professionellem Equipment, sowie alles dazwischen. Diverse Filmmöglichkeiten und diverse Filmende brachten ein hohes Maß an Individualität in das Endstation-Kino in Bochum-Langendreer. Die subjektiven Blicke, die die Kreativen über ihr Medium zu bündeln und zu vermitteln suchten, waren experimentell bis realistisch, verspielt bis ernst.
Den Gewinner des 20 Sekunden-Filmwettbewerbs bestimmten die Online-User und sie wählten „Tunnel Version II“ von Nolte aus der Grenzstadt Hagen. „BO_20sec“ von Benny Steffens und Ingo Meyer aus der Festivalstadt Bochum wurde als weiterer Beitrag von den Veranstaltern ausgezeichnet. Zwei sehr unterschiedlich inszenierte Filme, die sich beide mit einem Preis von 500€ belohnt sahen. Die fünf regulären Preise vergab die Jury, bestehend aus Anke Baumhoff vom WDR, Christiane Conradt aus der ROTTSTR5 und der emeritierte Professor Klaus Helle, an sieben Beiträge des Wettbewerbs.
Den Fiktionsfilmpreis Ruhr teilten sich „Offline“ von Benjamin Lenz, Markus Henkel u.a. sowie „Schwarzweiße Blüten“ von Irfan Akcadag, der auch gleich noch den Publikumspreis mitnahm. Erster Beitrag imaginiert eine Welt ohne Internet mit all seinen sozialen Interaktionen. Die Jury schätzte die ironische Aufarbeitung eines aktuellen, ernsten Themas. Doppelpreisträger „Schwarzweiße Blüten“ dagegen führt in die Gedankenwelt eines kleinen Jungen mit dem Wunsch nach einem Fahrrad. Die Farbgebung im Film, die die innere Entwicklung des Jungen gekonnt zu unterstützen weiß, beeindruckte sowohl Jury als auch Publikum. Für den Dokumentarfilmpreis tauchte die Jury in die Welt der Träume ein. Irina Heckmann widmete ihre Kamera in „Am Ende aller Tage“ den Beobachtungen des Bruders Schlaf. Experimentelle Beiträge wurden mit dem Experimental- und Kurzfilmpreis belohnt. In diesem Jahr wurden in dieser Kategorie „Die Metrik des Zufalls“ und „Goliath“ ausgezeichnet. Die Filmschaffenden hinter den beiden Beiträgen, Roswitha von den Driesch, Jens-Uwe Dyffort und Werner Biedermann, haben allesamt nicht Film oder Kamera studiert, sondern sich über die Jahre mit Bild und Klang per se auseinandergesetzt. Sie beweisen mit vielen anderen die postulierte Diversifikation des Films. Der Sonderpreis „Schmelztiegel“, gestiftet von Te Data, ging an „Al Hadr - Die Gegenwart“.
Der mit 600 Euro dotierte trailer-Sonderpreis „Querdenker“ ging an „Manfred Peter Hein“ von Frank Wierke. Die Dokumentation über den einer breiten Öffentlichkeit wenig bekannten Dichter Hein thematisiert neben dem lyrischen Werk des mittlerweile 81-Jährigen auch dessen Umgang mit der Vergangenheit seiner Eltern zur Zeit des Nationalsozialismus. Die Jury lobte in ihrer Begrüdnung, neben der "konsequent intuitiv wirkenden Kamera" die Monatge. Die Filmsprache bevormunde so den Zuschauer nicht, wodurch sich Frank Wierkes Film dem "Glatten und Einfachen" und somit den derzeit gültigen Sehkonventionen widersetze.
Mit vielen Filmbeiträgen, vielen Preisen, viel Diskussion und - nicht zu vergessen - viel ausgefallener Party ging das viertägige Festival des Ruhrgebiets zu Ende. Das nächste Jahr wird wieder ein „normales“, kein Jubiläumsjahr sein, doch darf man erwarten, dass die Individualität der kommenden Filme wie des Festivals insgesamt auch 2013 nicht abreißt.
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