Es war der große Abend des Laurenz Leky, Diplomschauspieler, Performer und seit zwei Jahren Leiter des hoch angesagten Kölner Theater im Bauturm, zusammen mit dem Dramaturgen Dr. René Michaelsen und dem Theaterwissenschaftler Bernd Schlenkrich als Geschäftsführer. Eine Woche zuvor hatte das Theater bereits die Roman-Trilogie „Amazonien“ von Alfred Döblin uraufgeführt. Angereist aus Stuttgart war die auf Rechercheprojekte spezialisierte Regisseurin Nina Gühlstorff. Zusammen mit Leky hat sie 2014 im Rampe-Theater in Stuttgart das Stück „KoNGOland“ uraufgeführt; ein knappes Jahr zuvor hatte Jan-Christoph Gockel dort „Kongo Müller“ inszeniert. Zu beiden Stücken gab es ein heftiges Presseecho, waren doch der Deutsche Siegfried Müller und auch die Deutsche Entwicklungshilfe in „Kongoland“ involviert. Müller (1920-1983) stieß früh zu den Nazis und machte als Soldat im 2. Weltkrieg Karriere. Nach vergeblichem Versuch, der Bundeswehr beizutreten, ging er nach mehreren Zwischenstationen als Söldner in den Kongo und half die Simba-Rebellion (1964-67) niederzuschlagen. Bekannt wurde er u.a. durch reißerische Artikel im Stern und den Propagandafilm der DDR „Der lachende Mann“ – Müller war Historikern nach jedoch kein satirischer Kriegsverbrecher und „Negerkiller“, sondern eher ein intellektueller Selbstdarsteller.
Im Bauturmtheater haben die beiden Regisseure zusammen mit René Michaelsen aus den beiden Stücken die sehr umfangreiche Gemeinschaftsproduktion „Kongo! Eine Postkolonie“ geschaffen. Dreieinhalb Stunden dieses schwierigen Stoffes gingen den Zuschauern schon an die Substanz, aber offensichtlich nicht dem einzigen Darsteller, der bei der Premierenfeier immer noch fit schien. Kongo Müller wird hier, wie aus dem Klischee bekannt, als Folterer und Mörder dargestellt. In dem DEFA-Film lallt er betrunken, nicht nur ins Goethe-Institut zu gehen, sondern auch „Neger zu killen“. Ausschnitte aus dem „lachenden Mann“ sind offen bei YouTube anzuschauen und liefen parallel im Bauturm. Auf der kargen schwarzen Bühne mit Stuhl, Bett, Moskitonetz und Matratze kann es einem übel werden, wenn Müller im Video prahlt, im Kongo für Europa und die Idee des Westens gekämpft zu haben, für die christliche Hemisphäre. Und noch übler, wenn die Erschießung eines Kongolesen gezeigt wird: Kopfschuss, Blutlache, Wegschleifen des Leichnams.
Leky, der zuvor mit dem Regisseur Gockel eine riskante Reise in den Kongo unternommen hat und diese über ein Video dokumentierte, ist ein charismatischer Performer in dieser One-Man-Show, mit seinen Reiseerlebnissen und Reflexionen, mit einem prall gefüllten Seesack und dem Film, aus dem er immer wieder Müller-Texte nachspricht. Ein Theater-Abenteuer im Dickicht des Neokolonialismus, exotischer Faszination und deutscher Schuld: der Weg Müllers vom einfachen Soldaten zum monströsen Medienstar aus dem militärischem „Kommando 52“. Im Wechselgespräch ahmt Leky auch Martin Kobler nach, der die Friedensmission der Vereinten Nationen im Ostkongo leitet: „die größte, teuerste und erfolgloseste UN-Mission aller Zeiten“. „Das Deutsche Wesen“ zur Genesung der Welt – eher verwirrend. Und Leky bindet das Publikum immer wieder mit ein.
Im zweiten Teil, in „KoNGOland“ (Wortspiel NGO=Non Government Organisation), geht es vordergründig um sachliche Entwicklungshilfe, Altkleider-Ballen, eine Wasserpumpe, ein Moskitonetz, Notnahrung, und vor allem Kondome – eines soll gar ein junger unbeholfener Zuschauer auspacken. Das feudale Leben der Entwicklungshelfer wird wortgewaltig thematisiert: Super-dekadente Unterkunft, Garten, Privatstrand. Nach sechs Jahren in der Entwicklungshilfe ist man fertig, hat die Mentalität gewechselt, ist „vom Schlendrian infiziert“, da man hier ständig bevorzugt wird, kann nicht mehr in die Heimat zurück. Auch hier bleibt es trotz langer Monologe immer hoch spannend, Leky fesselt sein Publikum permanent und informiert anschaulich über ein großes Problem, welches ein Zuschauer auch erraten hat: nicht HIV, Armut oder Trinkwasserversorgung ist es, sondern der Umgang mit Haustieren. Denn hier gibt es keine Zäune, da bedeutet die Ziegen fressen überall, wo Sie etwas finden können und werden „in Haft“ genommen, bis der Besitzer auftaucht und den Schaden ersetzt.
Leky prangert den Unsinn vieler Entwicklungsprojekte an, wo teure Maschinen oder Fahrzeuge unbrauchbar werden und verrotten, weil sie nicht gewartet werden, oder ihnen kleine, lebenswichtige Teile gestohlen werden. Nur wenig Hilfe kommz bei der Basis an, weil zu viel fehlgeleitete Organisation oder Bereicherung mitschwingt. Zum Schluss quält Leky sich in einen Haufen Altkleider und lässt sie sich von einigen Zuschauern ausziehen, bis er splitternackt und mitten durch die Zuschauer hindurch das Theater verlässt: „Ich bin schwarz und habe eine große Stärke: ich habe keine Angst.“ Ende eines großen Theaterabends, mit einem überragenden Darsteller. Trotz des nicht einfachen Sujets und der langen Zeit, gibt es übergroßen Jubel für das Produktionsteam.
„Kongo! Eine Postkolonie“ | R: Nina Gühlstorff, Jan-Christoph Gockel | 16.11., 20.12., 21.12. je 20 Uhr | Theater im Bauturm | 0221 52 42 42
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