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Das ParaDies mit Adresse und Besuchszeit
Foto: Laura Schleder

Wir sind alle verantwortlich für die Polis

26. Juni 2014

Ein Gespräch mit André Erlen von Futur3 über das Projekt „Zum Goldenen Leben“ – Premiere 07/14

choices: Herr Erlen, der Titel Ihres neuen Stücks „Zum Goldenen Leben“ erinnert an Wirtshaus oder Wegweiser. Habt ihr den Weg zum goldenen Leben gefunden?
André Erlen:
Das Projekt heißt „Zum Goldenen Leben“ und darin spiegelt sich die Frage „Wo wollen wir hin?“ Wir sind alle in einem Alter zwischen 40 und 50 Jahren. Wir gestalten die Welt mit im Kleinen oder im Großen, also haben wir bei uns selbst angefangen. Verhalten wir uns im Kontext der großen Fragen richtig in unserem Leben? Wie gehen wir zum Beispiel mit unserer Verantwortung als Konsumenten um? Wir wissen, wo die Produkte herkommen, wie sie entstehen, was sie ökologisch anrichten. Welche Folgerungen ziehen wir daraus? Das war der Ausgangspunkt, sich mit alternativen Formen des Lebens auseinanderzusetzen, mit all den Menschen, die versuchen, Konsequenz in ihr Leben zu bringen, ethisch, politisch, sozial, als Verbraucher oder in Bezug auf sich selbst.

Kann man das goldene Leben spielen?

André Erlen
Foto: Presse
André Erlen hat an der Kunstakademie Düsseldorf studiert, anschließend absolvierte er eine Schauspielausbildung am Actors’ Studio Pulheim und realisierte mehrere Produktionen mit dem polnischen Regisseur Michal Nocon. 2003 gründete er mit Stefan H. Kraft und Klaus Maria Zehe die Gruppe Futur3, die 2010 mit dem Kölner Theaterpreis für „Petersberg I“ ausgezeichnet wurde.

Wir tun nicht so, als würden wir das richtige Leben spielen. Wir sind vier Performer. Jeder hat einen Freibrief, sich aus dem riesigen Themenkomplex etwas herauszusuchen. Jeder hat zudem die Möglichkeit, sich jemanden dazu zu holen, einen Videokünstler, Autor oder Musiker. Wir arbeiten zunächst autark. Daraus soll sich eine Collage aus verschiedenen Haltungen an unterschiedlichen Orten auf dem ParaDies-Gelände am Eifelwall entwickeln. Angeregt durch die verschiedenen alternativen Projekte gestalten wir den Abend als theatralen Spaziergang, der in einer entspannten Atmosphäre ein gemeinsames Nachdenken mit uns als stellvertretenden Vordenkern ermöglicht.

Auf welche Initiativen ist Futur3 gestoßen?

Wir haben zu unseren Lagerfeuer-Gesprächen im Vorfeld viele Gruppen aus Köln eingeladen. Darunter Initiativen, die sich mit Urban Gardening beschäftigen; Gruppen, die Foodsharing betreiben und mit Supermärkten kooperieren, die containern oder Tauschbörsen für Lebensmittel betreiben. Veganismus ist derzeit sehr wichtig. Andere Initiativen bemühen sich um die Reduzierung von Müll. Die autofreie Stadt ist ein Thema. Die Initiative Oikos e.V. beschäftigt sich mit nachhaltigen Wirtschaftstheorien. Es gibt Initiativen für mehr Partizipation. Agora Köln wiederum organisiert den Tag des guten Lebens in Ehrenfeld und in Sülz.

Welchen Schwerpunkt haben Sie persönlich ausgewählt?

Ich starte mit einer Selbstanklage und frage mich, wie eine Welt aussähe, in der ich als einziger die guten Dinge, die man tun müsste, nicht tue. Warum lebe ich alleine in einer Kleinfamilie und nicht in einer Gemeinschaft? Wie ist der Kaffee produziert, den ich gerade trinke? Ich versuche Fragen aus meinem Leben abzuleiten, ohne biografisch zu werden. Es geht mir darum, diese totale Überforderung zu thematisieren, denn Komplexität schafft Lähmung im Handeln. Es geht aber auch um die Hoffnung, dass das Leben zu vereinfachen wäre.

Das Dilemma vieler Initiativen liegt darin, dass sie alleine vor sich hin werkeln. Wie lässt sich das ändern?

Wir haben es ja nie geschafft, unsere Macht als Konsumenten kollektiv zu nutzen. Deshalb ist wichtig, dass Leute sich in kleinen Gruppen zusammenschließen und nicht erst abwarten, bis die Regierung etwas beschließt. Außerdem ist das eine natürliche Reaktion auf die Erfahrung komplexer Zusammenhänge und Großstrukturen. So klein die Struktur sein mag, es bleibt mein Entscheidungsbereich. Und wir sind schließlich alle verantwortlich für die Polis, im Handeln, im Reden und wie wir uns organisieren. Außerdem sind viele Projekte miteinander vernetzt. Man tauscht sich aus, teilt Ressourcen, hilft sich juristisch.

Besteht nicht die Gefahr, dass dieser „Cult of Less“ als ein Statussymbol der übersättigen Mittel- und Oberschicht zur Mode wird?
Viele Initiativen benutzen das böse Wort vom Verzichten nicht mehr, weil es negativ konnotiert ist. Mit dem Verzicht schafft man auch eine Ersatzreligion, man erkauft sich ein besseres Gewissen. Viele reden deshalb lieber vom Weglassen als einer Entlastung, die mich freier macht. Dass man zum Beispiel weniger arbeitet und dadurch Zeit für Kommunikation, Träumen, Ausruhen gewinnt.

Sie zeigen das Projekt auf einem typischen Aussteigerareal am Eifelwall.

Wir haben mit dem ParaDies einen Ort gefunden, an dem Menschen versuchen, anders zu leben. Die letzten drei Jahre waren die Bewohner dort zu dritt, jetzt ist ein Schwung junger Leute da. Es geht darum, einen städtischen Freiraum zu kreieren, an dem es Werkstätten gibt, Platz, um zusammenzukommen oder einfach inne zu halten. Futur3 ist Teil davon und nutzt das. Wir haben öfters da geschlafen, um uns als Theatermacher einzufühlen, den Rhythmus zu verstehen und Teil zu werden von dieser Art von Leben. Im Mai 2015 wird das ParaDies dem neuen Archivbau weichen müssen.

Welche Funktion haben solche Orte im Stadtraum?

In Köln gibt es kaum noch Freiraum, alles ist zugebaut mit den immer gleichen Neubauwüsten, die an die 50er Jahre erinnern. Das Gelände am Eifelwall ist einer der letzten Orte, deren Funktion noch nicht festgelegt ist. Das ist ein Riesenpotential für eine Stadtgesellschaft, mal etwas anderes als die übliche Investorenarchitektur samt Pinkelpark hintendran. Es geht nicht darum, das zu besetzen oder anderen etwas wegzunehmen, sondern einen Gemeinschaftsort zu schaffen, der sich auch ein bisschen selber organisiert. Das braucht man, um atmen zu können.

Futur3 arbeitet erstmals in einem Raum, der Teil des Stadtraums, andererseits Grünfläche ist. Wie verändert das den Arbeitsprozess?

Es ist total anstrengend. Wir proben ja nicht in einem Probenraum und gehen dann nach draußen, sondern sind immer vor Ort. Manchmal müssen wir flüchten, wenn das Wetter nicht mitspielt. Dann wieder ist es toll, wenn die Sonne scheint. Außerdem mussten wir uns daran gewöhnen, dass sich Leute dazustellen und fragen, was wir da machen. Deshalb ist die Arbeit an dem Projekt sehr riskant und herausfordernd. Der Arbeitsprozess ist für uns mehr denn je Teil des Projekts. Der Schwerpunkt liegt nicht allein auf dem Theaterstück, sondern dass wir da sind, dass wir diese Lagerfeuergespräche vor der Premiere organisieren und dass wir einfach Leute zusammenbringen.

„Zum Goldenen Leben“ | Künstlerische Leitung: André Erlen, Stefan H. Kraft | 6.7., 8.7.-12.7. 19.30 Uhr | ParaDies, Eifelwall 5 | 0221 985 45 20

INTERVIEW: HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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