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Wollen „gutes Leben“: Stefan Kreutzberger, Stephan Weinand, Nika Rams, Dunja Karabaic, Franz Meurer, Nicole Lange
Foto: Jan Schliecker

Wo man sich wohlfühlt

13. März 2015

Veranstaltung „Orte des guten Lebens in Köln“ – Spezial 03/15

Dienstag, 10. März: Mit den Möglichkeiten eines „guten Lebens“ in Köln befasste sich der Diskussionsabend „Orte des guten Lebens – Engagement aus dem Veedel für das Veedel“ im Vhs-Forum im Rautenstrauch-Joest-Museum. Es soll der erste Abend einer neuen Reihe sein, mit der KölnAgenda über eine Aktivierung der Bürger nachhaltige Stadtpolitik vorantreiben will. Der Hintergrund ist, dass sich die Stadt Köln zwar im April 2011 dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung verschrieben hat, tatsächlich aber kaum etwas passiert ist. Das Diskussionspapier von KölnAgenda vom Mai 2014 mit dem Titel „Nachhaltigkeit als Richtschnur kommunalen Handelns“ weiß der Kölner Politik zehn Handlungsempfehlungen zu geben, um Köln auf „Nachhaltigskeitskurs“ zu bringen. Konkret heißt das, dass die Menschen in 10 und 100 Jahren von heutigen Weichenstellungen mit profitieren, weil längerfristig gedacht wird und durch stärkere Beteiligung der Bürger mehr Ideen diskutiert und die Bedürfnisse der Menschen völlig verfehlende Entscheidungen vermieden werden. Die Forderungen betreffen auch soziale und ökologische Aspekte, finanzielle Nachhaltigkeit, Geschlechtergerechtigkeit und globale Mitverantwortung.


Engagement, aber richtig: Pfarrer Franz Meurer aus Köln-Vingst, Foto: Jan Schliecker

Am Dienstag wurde nach Einleitungen von KölnAgenda-Moderator Stefan Kreutzberger (Autor von „Die Essensvernichter“) und Vingst-Pfarrer Franz Meurer in angenehmer Atmosphäre über einige Ideen und Themen gesprochen, die sich um ein gutes Leben in den Stadtvierteln drehen.

Urban Gardening

Die Urban-Gardening-Bewegung wird auch in Köln spürbar stärker, nachdem das Pflanzen von Gemüse oder Kräutern lange Zeit denen vorbehalten war, die einen Haus- oder Schrebergarten ihr Eigen nannten. Nicole Lange und Dr. Volker Ermert spachen über ihre Erfahrungen mit der Gartenwerkstadt Ehrenfeld, einem gemeinnützigen Verein, der derzeit am alten Güterbahnhof beheimatet ist. Die aus Bielefeld zugezogene Nicole Lange selbst ist noch gar nicht lange dabei: „Ich bin in diesen Garten gekommen, weil ich einen Ort gesucht habe, wo ich hingehen kann. Ich bin seitdem begeistert dabei, und es hat mir auch unheimlich geholfen, einen Einstieg in Köln und in das Viertel zu bekommen.“


Nicole Lange, Foto: Schliecker

Das Projekt „Gartenbahnhof Ehrenfeld“ wolle das urbane und gemeinschaftliche Gärtnern in Ehrenfeld voranbringen. „Es gibt nichts, was einer Person oder einer Gruppe speziell gehört, und alles wird gemeinschaftlich erledigt. Das klingt immer so nach Arbeit, aber es sind eigentlich tolle Sachen. Wir bauen Pflanzkisten, wir säen, wir ernten, und wir essen auch gemeinsam, was wir ernten.“ Jeder der mitmachen oder nur mal vorbeischauen möchte, sei willkommen, es handle sich um eine offene Gruppe. Um eine Sortenvielfalt zu gewährleisten, bemühe man sich, alte Sorten zu erhalten und sie mit anderen Gärten zu tauschen.


Bau einer Kräuterspirale, Foto: Gartenwerkstadt Ehrenfeld e.V.

Überraschend war es zu hören, wie sich das Projekt auf die Ehrenfelder Müllbilanz auswirke. Das beginne schon beim Holz für die Pflanzkisten, die man von Baustellen bezöge und von Nägeln befreie. Den Wunsch, mehr Kompost zu erhalten, habe man zum Anlass genommen, die Beziehungen mit dem Viertel zu verstärken. „Wir haben in Ehrenfeld Kontakte mit Schulen und Bistros geschlossen, wo wir neue Leute kennengelernt haben und heute jede Woche hinfahren und den Grünabfall einsammeln, der sonst im Mülleimer gelandet wäre.“ Auch wolle man, so Nicole Lange, keinen eigenen Müll produzieren, sondern das, was „anderswo schon weggeschmissen wurde, selber wieder verarbeiten. Das hat auch den Vorteil, dass wir sehr wenig Geld dafür brauchen und sehr unabhängig agieren können.“ Zu den Projekten in Planung gehöre die Begrünung hässlicher Ecken in Ehrenfeld und die Einrichtung von Pflanzkästen an Flüchtlingsheimen. Zum Funktionieren solcher Projekte sagte Volker Ermert allgemein: „Man braucht eine Handvoll Leute, die sich kümmern. Ohne Kümmerer, das merkt man auch im Garten, läuft gar nichts.“


Dr. Volker Ermert bei der Arbeit, Foto: Gartenwerkstadt Ehrenfeld e.V.

Stephan Weinand kümmert sich um das Gartenprojekt Querwaldein, das mit bisher sechs „GartenClubs“ an erster Stelle Kinder und Jugendliche in strukturschwächeren Kölner Stadtteilen wie Chorweiler erreichen soll und in Kooperation mit GAG Immobilien Köln betrieben wird. Die Idee der GartenClubs sei es, im Viertel drinzubleiben: „wirklich im Viertel schauen, wo könnten wir eine Fläche finden, wo wir mit Kindern das urbane Gärtnern betreiben.“ Dieses Gärtnern sei der Motor auch damit verbindbarer Aktivitäten. Das kostenfreie Angebot wird einmal wöchentlich – „egal ob Gartensaison oder nicht“ – durch Querwaldein-ReferentInnen betreut, spreche aber auch zunehmend Erwachsene an, die von den Kindern mit hineingezogen würden. Die pädagogische Arbeit werde vom GAG Sozialmanagement finanziert, mit dem man sich genau abstimme, wenn auch Ehrenamtlichkeit weiter eine Rolle spiele. Es gebe in dem Rahmen auch ein Upcycling-Projekt, „bei dem es darum geht, Müll sozusagen umzufunktionieren und mit den Kindern etwas Neues draus zu machen.“


Stephan Weinand (Querwaldein) spricht über GartenClubs, Foto: Schliecker

Nicht funktioniert habe der GartenClub in Kalk-Nord an der Lilienthalstraße, „wo es ein Problem gab, an die Kinder heranzukommen, weil es so viel Angebot gab.“ Immer sei es wichtig, die bestehenden Organisationen und Netzwerke in jedem Viertel kennenzulernen und sich mit ihnen abzustimmen.

Veedelsmedien

Ebenfalls unter dem Aspekt, in den Stadtvierteln mehr Gemeinschaft herzustellen und Nachhaltigkeit zu fördern, stand die Idee, in und für Ehrenfeld ein eigenes „Nachbarschaftsmagazin“ herauszugeben, den kleinformatigen „Veedelfunker“ vom labor gruen, der von den Projektleiterinnen Dunja Karabaic und Nika Rams vorgestellt wurde. Karabaic, die „etwas zum Anfassen“ herstellen wollte, wurde erst einmal gewarnt: „Ganz viele Leute haben gesagt: ‚Das ist total altmodisch, ihr müsst ins Netz, das liest doch keiner.‘“ Doch der Funker wurde ein Erfolg und damit auch die Idee, ökologisches Verhalten durch soziales Miteinander zu stärken, ohne damit nur diejenigen zu erreichen, die ohnehin schon nachhaltig zu leben versuchen. Daher wollte man laut Nika Rams nicht Bilder von Eisbären in Not zeigen, „sondern die Menschen positiv inspirieren und ihnen aufzeigen, was sie selbst lokal tun können.“ Daher auch die lokale Begrenzung: „Wir berichten wirklich nur, was vor der eigenen Haustüre los ist, das ist greifbarer und für einen Identifikationsprozess viel näher da. Wir haben daher über Nachbarn berichtet, die vorbildliche Projekte realisiert haben. Und das konnten auch kleine Dinge sein.“ Der Begriff „Nachhaltigkeit“ sei in den Texten aber bewusst vermieden und umschrieben worden.


Die „Veedelfunker“-Gründerinnen Nika Dams und Dunja Karabaic, Foto: Schliecker

Die beiden präsentierten eine Covergalerie der zwölf Ausgaben mit sehr unterschiedlichen Ehrenfeldern als Titelhelden. Jeden Monat sei zu einer Aktion aufgerufen worden, über die das folgende Heft berichtet habe, so etwa die Einrichtung eines „Veedelbretts“, einer Pinnwand für die Gemeinschaft. „Die Aktionen, die wir realisiert haben, haben bei den Menschen den superwichtigen Aha-Effekt ausgelöst. Es bringt gar nichts, wenn man den Leuten sagt, so und so funktioniert das.“ Es sei einfach Gold wert, „wenn die Leute eine Erfahrung machen, selbst verstehen, das hat Spaß gemacht, das hat funktioniert, ich kann es selber.“ Nun ginge man mit der Idee in zehn Städten auf Tour und habe auch viele Anfragen von anderen Kölner Vierteln erhalten. Eine 13. Ausgabe sei durch Crowdfunding möglich geworden und befände sich jetzt im Druck. Förderung erhalte man von der Deutschen Bundestiftung Umwelt. „Ohne solche Mittel hätten wir das alles nicht machen können.“

Etwas bewegen – nur wie?

Die Podiumsdiskussion drehte sich im Wesentlichen um Eigeninitiative und Stadtpolitik. Auf die Frage, was die Stadt tun könne, um nachhaltige Entwicklung zu unterstützen, erwiderte Pfarrer Franz Meurer, der humorvolle Don Camillo aus Köln-Vingst, der zuvor grundsätzlich zum Thema Quartiersentwicklung gesprochen hatte: „Ich habe ja einen völlig anderen Ansatz, ich will von der Stadt überhaupt nichts. In dem Moment ist man abhängig.“ Dunja Karabaic fand, dass die Stadt bestimmte Themen fördern könne. Es fehle an einem „Kriterienkatalog“ dazu, wofür man öffentliche Gelder grundsätzlich ausgeben wolle, im Bereich von Projekten, die sich wirtschaftlich nicht tragen können. Nika Rams empfahl, Projekte möglichst „alltagstauglich und niedrigschwellig realisierbar zu halten“, wenn auch darüber hinaus die Zusammenarbeit mit Politikern, die mit für das Projekt stünden, möglich und wünschenswert sei.

Meurer führte weiter aus, dass Quartiersentwicklung „von oben“ jedenfalls nicht anzustreben sei. „Wir wollen dauernd delegieren. Wir wollen die Verwaltung damit beauftragen, unsere Stadt zu gestalten. Warum? Dat können wir doch selbst, die besten Ideen kommen immer aus dem Viertel, kommen immer von unten.“ Stephan Weinand hatte die Erfahrung gemacht, dass die Zusammenarbeit mit Behörden sehr aufwändig sei. „Wir kriegen es als Verein einfach nicht gestemmt, wirklich viel in die Gespräche mit der Stadt reinzugehen. Das war auch immer unser Ansatz: Wir machen es von unten.“ Dann hänge man auch nicht von zeitlich begrenzten Förderungen ab, unter denen am Ende die Kinder leiden. Er wünsche sich für Gardening-Projekte allerdings Flächen. Moderator Stefan Kreutzberger (seit 20 Jahren bei KölnAgenda) hielt die Agenda-Forderung für wichtig, eine Infrastruktur mit klaren Ansprechpartnern für Bürgerprojekte zu schaffen.

Als die Politik in der Diskussion außen vor geriet, meldete sich aus dem Publikum Renate von dem Knesebeck vom KölnAgenda FrauenForum: „Selbstverständlich ist jedes Projekt nur so gut, wie die Personen, die es initiieren und die es vorantreiben. Aber wir sind die Stadt. Wir können doch nicht einfach sagen: Wofür brauchen wir noch eine Verwaltung, wenn wir die völlig außen vor lassen?“ Es müsse jetzt neben der Vernetzung der Bürger und Projekte darum gehen, Ideen zu entwickeln. „Wir wollen diese Verwaltung dahin bringen, dass sie mit uns zieht und nicht gegen uns zieht.“ Dies führe zu unbeliebten Großprojekten.

Meurer schloss sich da an: „Politisch heißt nicht nur Forderungen stellen, sondern politisch heißt Macht gewinnen. Und das ist nicht einfach, weil es immer ein beschränkter Teil der Gesellschaft ist, der da mitspielen will.“


ParaDies-Künstler Rolf Tepel in seinem Hauptquartier, Foto: Kai Schubert

Kettensägen im ParaDies

Nachdem das Gespräch auf finanzielle und personelle Engpässe bei der Verwaltung kam und die Vhs für ihre Unterstützung des Diskussionsabends gelobt wurde, wies der Künstler Rolf Tepel darauf hin, dass auch das Museumsgebäude, in dem man sich befinde, nach wie vor mit seinen Kosten mit dafür sorge, „dass gelebte Kultur in der Stadt finanziell unterbemittelt ist.“ Er sprach daraufhin über den Umgang der Verwaltung mit dem ParaDies am Eifelwall:

„Ich habe ja, wie einige wissen, vor zehn Jahren, in einer Brache, die schon 20 Jahre leer stand eingegriffen und dort den Besen sprechen lassen. In zehn Jahren sind 10.000 qm städtisch vermülltes Gelände umgewandelt worden. Ich kann aus diesen zehn Jahren berichten von jeder Menge teuren Übergriffen seitens der Stadtverwaltung, also Behinderungen dieser Tätigkeit, keiner Förderung. Das letzte Beispiel jetzt: Man hat mir eine Unterschrift abgepresst, dass ich am 30. April – was ich auch immer schon angekündigt habe – das Gelände verlasse. Und jetzt gab es einen Polizeieinsatz gegen eine meiner Bauten, mit dem ich weiterwandern wollte. Durch diese Unmöglichkeit, mit der Verwaltung zu kommunizieren, sind zwei Tage vor Weiberfastnacht um halb 7 insgesamt 80 Personen auf dem Eifelwall aufgelaufen, die alle bezahlt waren. Davon waren 65 Polizeibeamte, fünfmal Gebäudewirtschaft, fünfmal Bauaufsichtsamt und eine Zimmerei, die rekrutiert wurde, fünf Dachbalken bei mir abzusägen. (…) Die greifen bei einem stadtbekannten Künstler, der sich berufen fühlt, Landschaft umzuwandeln, in dieser Form ein. Jetzt ist das ganze Gelände wie schon mal sieben Monate vorher mit Hundestaffeln, mit Wachleuten bewacht. Das kostet im Monat – so habe ich von den Wachleuten gehört – über 30.000 Euro. Also wir können ganz klar sehen, wo unsere Gesellschaft bereit ist, Geld zu investieren.“ Bewacht würden damit leerstehende Garagen. Weltweiten Entwicklungen in der Stadtpolitik hinke Köln schon seit den 70er Jahren weit hinterher und es brauche einen „richtig starken Weckruf“.

Die Veranstaltungsreihe „Köln nachhaltig gestalten“ im Forum geht weiter:

Do 7.5. „Wir wollen wir leben? – Lokales Engagement für weltweite Gerechtigkeit“
Di 12.5. „Nachhaltige Stadtentwicklung – Wie geht das? – Städte im Vergleich“
Di 9.6. „Mitgedacht! – Köln nachhaltig mobil“

Am 31. Mai findet wieder ein „Tag des guten Lebens“ statt, ein überparteilicher Kölner Sonntag der Nachhaltigkeit. Dafür wird der Stadtteil Sülz autofrei sein.

Infos: KölnAgenda | Gartenwerkstadt Ehrenfeld | Querwaldein | Veedelfunker | Tag des guten Lebens

Jan Schliecker

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