„Früher war alles besser!“ Dieser abgeschmackte Satz ist derzeit unter Kölner Lokaljournalisten häufig zu hören. Egal ob in der Redaktion oder abends beim Feierabendkölsch, die aktuellen Entwicklungen auf dem Kölner Zeitungsmarkt machen den arrivierten Redakteuren Angst und Bange. Die seit über zehn Jahren herrschende Krisenstimmung in der Presse hat Spuren hinterlassen und hinterlässt aktuell weitere Spuren. Die Auslagerung und Zusammenlegung der Lokalredaktionen von „Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Kölnischer Rundschau“ im Kölner Umland in die tariffreie „Rheinische Redaktionsgemeinschaft GmbH“ schwebt fortan wie ein Damoklesschwert über den Mutterredaktionen und ihren Redakteuren in Köln. Von vormals 110 journalistischen Mitarbeitern sollen bis Ende 2015 noch 67 übrig bleiben. Zwar gibt es (noch) keine konkreten Pläne, auch die Kölner, Leverkusener und Bonner Redaktionen zusammenzulegen, aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Seit zehn Jahren befindet sich der Zeitungsmarkt in der Krise. Sinkenden Anzeigenerlösen stehen ebenfalls sinkende Abonnements gegenüber. Eine gefährliche ökonomische Spirale, die sowohl durch das Internet mit seinen neuen, kostenlosen journalistischen Formaten, als auch durch die Fantasielosigkeit vieler Verleger immer schneller abwärtsdreht. Die Antwort der Verleger und Herausgeber auf die ökonomischen Herausforderungen ist landauf, landab dieselbe: Tarifflucht und Stellenabbau. Innovation im Print- und Online-Bereich? Fehlanzeige.Dass ausgerechnet Helmut Heinen, Leiter des Heinen-Verlags (Titel- und Verlagsrechte bei der DuMont-Gruppe), in dem die Kölnische Rundschau erscheint, und Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), und auch Alfred NevenDuMont selbst, Verleger des Kölner Stadt-Anzeigers und Ehrenpräsident des BDZV, auf Tarifflucht setzen, ist erschreckend und armselig zugleich.
Doch nicht nur ökonomisch befinden sich die Verlage in einer Krise, sondern auch strukturell. Das Internet und seine digitalen Kanäle der Kommunikation setzen aber nicht nur den Verlegern zu, sondern die Profession des Journalismus unter Druck. Und das in zweifacher Hinsicht: Im Netz stehen auf Algorithmen basierende Informationen kostenlos zur Verfügung. Redaktionelle Leistungen werden dadurch partiell ersetzt. Allein beim Checken der Mails wird der Leser mit kostenloser Information aus allen möglichen Bereichen wie Sport, Gesellschaft, Klatsch und Tratsch, Sport und auch Politik überschüttet. Qualitätsfragen scheinen bei vielen Usern zweitrangig, wenn der Preis gleich null ist. Die andere strukturelle Bedrohung der klassischen Zeitungslandschaft durch das Digitale liegt in der Entgrenzung der Kommunikation. Es sind eben nicht mehr nur die Journalisten allein, die relevante Themen für die öffentliche Diskussion bereitstellen. „The people formerly known as the audience“, wie der amerikanische Journalist und Journalismusprofessor Jay Rosen es nennt, sind heute selbst aktive Kommunikatoren.
Augenscheinlich wird dies bei der Huffington Post, der ersten kommerziellen Onlinezeitung aus den USA mit Ablegern in Großbritannien, Kanada, Frankreich, Spanien und Deutschland. Als „Bürgerjournalismus“ gepriesen, ist das Geschäftsmodell der Huffington Post die totale Ausbeutung ihrer Schreiber. Kein Honorar und keine Rechte an den eigenen Texten, dafür aber die volle Haftung für die Inhalte. Die Währung, in der die „HuffPo“ bezahlen will und „bezahlt“, ist Aufmerksamkeit.
Natürlich hat Aufmerksamkeit einen realen Wert. Die Annahme eines solchen Publikationsangebots kann sich durchaus lohnen. Nur nicht für Journalisten. Insbesondere für Menschen, die nicht vom Journalismus leben müssen, es nicht einmal versuchen, kann das Geschäftsmodell „Texte gegen Aufmerksamkeit“ funktionieren. Man schreibt, um sich einen Namen zu machen, den man dann etwa als Berater, Verkäufer, Lobbyist oder Politiker in Geld ummünzt. Ein Tauschgeschäft, zu dem Journalisten qua Beruf nicht fähig sind – sie leben nicht von Aufmerksamkeit, sondern von Honoraren für ihre Arbeit. Und ein Journalist, der sich durch seine Arbeit in die Nähe des Lobbyismus begibt, wird das mit seinem größten Kapital, seiner Glaubwürdigkeit, bezahlen.
Doch nicht die Journalisten allein zahlen derzeit einen hohen Preis für die Krise. Auch die Leser zahlen, wenn sie in Zukunft selbst die Informationen liefern sollen, die sie anschließend als lesende Bürger konsumieren. Ob so Machtkontrolle, Investigation und die gesellschaftliche und politische Einordnung von Nachrichten effektiv zu bewerkstelligen sind, ist mehr als zweifelhaft. Für die Vierte Gewalt bedeutet das nichts Gutes.
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