Nun sind wir also mitten drin in der Diskussion über Selbstoptimierung, jenes ominöse Ding, das vor wenigen Jahren anfing, durch Zeitungen, Blogs und Ratgeberliteratur zu geistern. Wo einst der Spiegel, die Waage, das Urteil von Ärzten und Freunden und die allmorgendliche Selbstdiagnose uns zu Besserung mahnten, greifen nun Smartphones und Smartwatches, flankiert von einer medialen Werbe- und Informationsflut, den traditionellen Impulsgebern präventiv voraus. Jetzt haben wir alles unter Kontrolle, bevor wir mit den Ergebnissen konfrontiert sind: Hosen, die uns nicht mehr passen, Informations- und Bildungslücken, die sich am Esstisch oder im Büro offenbaren, Ablehnung durch potentielle Arbeitgeber, Freunde oder Sexualpartner, weil wir hinter aktuell angesagte Standards zurückfallen.
Felix Klopotek, Mitherausgeber des seit 2013 mit Peter Scheiffele geplanten Sammelbandes „Zonen der Selbstoptimierung“, schreibt in der Februar-Ausgabe der StadtRevue: „Es gibt viele Selbstoptimierungen: Auf dem Gebiet der Familie, der Freizeit, der Arbeit, der Liebe – überall gibt es immer noch etwas zu optimieren. Dabei geraten diese Techniken der Internalisierung von Leistungsnormen miteinander in Konflikt.“
Selbstoptimierung als etwas immer nur Anzustrebendes, nicht Erreichbares, ist ein ewiges Hamsterrad, das von Herausgeber Felix Klopotek fest in der Leistungsgesellschaft verortet wird. Sie basiere auf „Rezepten“ und stamme, so präzisiert er auf Nachfrage im brechend vollen King Georg, „aus dem Arsenal einer Gesellschaft, die deine individuelle Leistung ganz hoch bewertet und dir suggeriert, die könntest mit deiner individuellen Leistung unendlich viel erreichen“. Sie sei eine „Internalisierung und dabei eine Individualisierung“ der Einstufung von Menschen nach ihrer individuellen oder gemeinsamen Leistung. „Es gibt keine kollektive Selbstoptimierung – wäre meine These – sondern es spricht dich direkt an. Warum machen wir das? Für dich selbst.“ Reichen würde es einem aber nie. „Du kannst nicht sagen: Jetzt bin ich da, wo ich immer sein wollte.“
Felix Klopoteks StadtRevue-Redaktionskollege und Kölner Politik- und Gastronomie-Kritiker Bernd Wilberg, der auf seine Bitte ein Kapitel über die „gastronomische Zone“ der Selbstoptimierung beigesteuert hat, konnte im Rahmen seiner interessanten Überlegungen die Ansprüche, die man an sich selbst haben kann, unter anderem am Vegetarismus und Veganismus festmachen, die man als eine „moralische Optimierung mittels kulinarischer Askese“ bezeichnen könne. „Askese und Diät, das heißt ja immer, ich verzichte auf was. Das tue ich aus moralischen Gründen, als politischen Gründen, wie man auch will. Und ich zeige es ja auch anderen, ob ich will oder nicht – man merkt es. Da ist jemand, der sagt: ‚Nee, das trink‘ ich nicht‘ – ‚Warum?‘ – ,Nee, das ist Flugwein, der kommt aus Übersee. Das ist unnötig, diesen Quatsch hier mit dem Flugzeug rüberzufliegen.‘ Oder jemand sagt, nee, ich ess‘ kein Fleisch oder ich ess‘ bestimmtes Fleisch nicht.“
Während die kulinarischen Askese für die physische Optimierung, also die Leistungsfähigkeit, ein Mittel zum Zweck sei, wäre die vegane Askese schon ein Ziel in sich. Das Befolgen von „Ernährungstabus“ ginge wie bei alten Religionen immer mit einer „moralischen Selbstoptimierung“ einher. „Je strikter und je umfassender die Regeln sind, je aufwendiger ihre Befolgung ist, desto höher kann der Grad der moralischen Optimierung veranschlagt werden. Das befördert in bestimmten Milieus den sozialen Status.“ Dass manche Arten des Verzichts auch ganz vernünftig seien, bestreitet er, umzingelt von Zuschauern, nicht.
Das Publikum – das sich bis zum Beginn der Lesung eine Stunde gedulden musste – war sich nicht sicher, ob es Selbstoptimierung nun schlecht finden durfte. Während Klopotek, der in der StadtRevue schreibt, sie „werde an ihrem Erfolg zugrunde gehen“, sich darauf zurückzog, erstmal nur eine „Bestandsaufnahme“ beabsichtigt zu haben, erklärte Wilberg ein Missfallen an dem Gedanken, dass man unbewusst tue, was die Gesellschaft wolle. „Sind das meine Ziele oder habe ich die Ziele anderer internalisiert und denke es seien meine eigenen? Wenn ich Fitness treibe zum Beispiel, obwohl ich keine Lust dazu habe, aber alle Kollegen machen das, das wird erwartet bei mir im Betrieb.“
Dem Gedanken eines Teilnehmers, es handle sich bei der Selbstoptimierung unter Umständen um eine „neurotische Version des Leistungsgedankens“ widersprach bald eine andere Teilnehmerin: Selbstoptimierung sei qua Definition erst einmal „funktional“ und eben nicht pathologisch: „Wenn man sich selbst optimiert, dann funktioniert man ja im System.“ Ein Zuhörer merkte an, dass hinsichtlich der Ernährung „jedes Jahr eine neue Sau durchs Dorf getrieben“ werde und man sich auf keine „optimale“ Ernährungsweise dauerhaft einstellen könne. „Du bist immer wieder gezwungen dazu, dich irgendwelchen fremd aufgestellten Regeln zu unterwerfen, die du wahrscheinlich gar nicht verstehst, denen du aber folgen willst, weil ja gesagt wird, das ist jetzt gut, das macht dich zum guten Menschen. Das führt, finde ich, dazu, dass man nur scheitern kann. Dann kommt wahrscheinlich die Neurose.“ Wilberg stimmte zu: „Der Stillstand ist eigentlich nicht erlaubt.“
Leider wurde an dem von Wolfgang Frömberg moderierten Abend wenig der Frage nachgegangen, wo die gesunden und historisch überhaupt nicht eingrenzbaren Anpassungsstrategien aufhören und die Krankheit beginnt, wo man sich zu viel zumutet und vor allem, wo die Erwartung einer Selbstoptimierung übertrieben oder deplatziert – auch aus Profitmotiven – an uns herangetragen wird. Wilberg verwies allerdings auf ein zunehmendes „Hineinlappen“ von Managementstrategien ins Privatleben, weil die „Strategien des Arbeitens ins Private übernommen“ würden. Genau dort sei wohl der vom Publikum vermisste Ansatz für eine gemeinsame Gegenwehr und das Ziehen einer „roten Linie“ gegeben.
„Vielleicht müssen wir einfach Grenzen ziehen und uns darüber verständigen, wo diese Grenzen sind. Sie zu bestimmen, das wäre entscheidend“, so Wilberg. „Man könnte zum Beispiel sagen, ich arbeite ab einer bestimmten Uhrzeit nicht mehr. Jetzt bin ich öffentlich und jetzt bin ich privat. Jetzt stehe ich am Tresen und ich rede nicht über meine Arbeit.“ Solange man der Selbstoptimierung bewusst oder unbewusst anhänge, „sind wir alle auch immer Konkurrenten zueinander“.
Oder wie Klopotek in seinem Artikel schreibt: „Selbstoptimierung ist ein Mittel im Konkurrenzkampf der Individuen.“ An dem bekannten Dokumentarfilm „Work Hard – Play Hard“ über Entwicklungen in der Arbeitswelt kritisierte Klopotek allerdings eine zu „totalitäre“ Darstellung des „Schreckgespenstes“ Selbstoptimierung, das sich in der Praxis gar nicht so umsetze. „Man weiß ja gar nicht, ob die Leute, die in dem betriebsinternen Verbesserungskonzept stehen, diese Rolle nur spielen und ob es nicht eine augenzwinkernde Übereinkunft der Lohnabhängigen gibt, sich doch nicht mehr zu verausgaben, als es nötig ist.“
Felix Klopotek, Peter Scheiffele (Hg.): Zonen der Selbstoptimierung. Berichte aus der Leistungsgesellschaft | Matthes & Seitz | 283 S. | 22,90 €
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