Seit gut zwei Monaten sitzt die berühmte Schriftstellerin Aslı Erdoğan im Gefängnis. Sie studierte zunächst Physik und arbeitete im CERN, schnell litt sie aber unter der Diskriminierung in der männerdominierten Branche. In ihrer literarischen Arbeit, die sie schon während des Studiums begann, engagiert sie sich gegen Benachteiligungen von Frauen und gegen Rassismus. Ihre Werke wurden in Europa zum Erfolg, erst anschließend konnte sie auch in der Türkei Erfolge feiern.
Ihre Arbeit leitet am vergangenen Donnerstag durch einen vom Literaturhaus Köln und dem KulturForum TürkeiDeutschland veranstalteten Abend; dabei soll aber auch an die anderen inhaftierten Schriftsteller, Journalisten und Künstler gedacht werden. Das Haus platzt aus allen Nähten, manche schauen durch das Fenster zu, als Osman Okkan die Bühne betritt: Der Journalist und Filmemacher moderiert die Veranstaltung und ist Mitorganisator. Erst eine Woche zuvor besprach er das Vorhaben mit dem Literaturhaus, umso erfreuter sind alle Beteiligten über das zahlreiche Erscheinen.
Über 700 Journalisten und Schriftsteller in Gefangenschaft
„Es muss nicht erläutert werden, was in der Türkei los ist“, eröffnet Okkan. Ein paar Zahlen nennt er trotzdem, so seien 707 Journalisten und Schriftsteller zurzeit in Gefangenschaft, obwohl sie sich für eine friedliche Auseinandersetzung einsetzen. „Aslı ist nur ein Schicksal von vielen. Dieser Abend soll stellvertretend für alle sein“, so Okkan weiter.
Als erster Leser beginnt Doğan Akhanlı, der selbst 2010 für mehrere Monate in türkischer Haft war. Im Gespräch mit Okkan erzählt er von seiner Haftzeit und den Bedingungen, unter denen die verschiedenen Menschen im Gefängnis leben müssen. Er selbst sei der einzig türkischstämmige Häftling und dadurch in einer privilegierteren Lage gewesen. Aus Erfahrung könne er aber sagen, dass es besonders wichtig sei, die Menschen nicht allein zu lassen. „Wenn man dort einsam und allein ist, dann braucht man Leute da draußen, die an einen denken. Eine Botschaft, einen Brief.“ Er hat einen Brief an Aslı Erdoğan verfasst, in dem er sie als stark und unbeugsam beschreibt und hofft, sie nächstes Jahr in Freiheit wiederzusehen. Er liest ein kleines Stück aus „Die Stadt der roten Pelerine“ vor, Erdoğans berühmtestes Werk.
Anschließend wird Osman Okkans filmisches Porträt „Aslı Erdoğan: Grenzgängerin zwischen Himmel und Tod“ gezeigt. Der Film fasst das Leben der Schriftstellerin kurz zusammen und zeigt ihr Engagement für Unterdrückte und Diskriminierte.
Machtkampf zwischen zwei Religionen
Der Schriftsteller Atilla Keskin, 1968 Aktivist bei den Studentenprotesten in der Türkei, trägt einen offenen Brief für Aslı Erdoğan vor. „Wenn Schreiben eine Leidenschaft von dir ist, ohne die du nicht leben kannst, dann könntest du auch über Blumen und Leidenschaften schreiben. Aber du willst lieber über die Missachteten und Unterdrückten schreiben.“
Über das Internet konnten die Veranstalter sogar Dilek Dündar für ein Interview zuschalten. Der Frau von Can Dündar, dem Chefredakteur der Zeitung „Cumhuriyet“, wurde Anfang des Monats am Istanbuler Flughafen die Ausreise verweigert. Im Gespräch erzählt sie, wie ihr eine neu in Kraft getretene Verordnung unterstelle, die Sicherheit des Landes zu gefährden. Über die Nacht des Putschversuches berichtet sie: „Ich habe noch nie eine solche Finsternis erlebt. In der Türkei herrscht ein Machtkampf zwischen zwei Religionen, wobei ein ganzes Volk als Geisel genommen wird.“
Boykott-Listen in Deutschland
Dann kommt die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün zu Wort. Sie richtet einige mahnende Worte an das Publikum, welche Auswirkungen der Putschversuch nach sich ziehe. So berichtet sie, dass in Deutschland Boykott-Listen aufgetaucht sind, wo vom Einkauf in Läden abgeraten wird, die der Gülen-Bewegung nahestehen. „Niemand in Deutschland sollte Angst haben, wenn er einer bestimmten Glaubensrichtung angehört.“ Über Aslı Erdoğan sagt sie, dass sie ein Vorbild sei, denn „wozu ist man eigentlich Schriftsteller, wenn man Missstände nicht anprangert. Deswegen ist es gut, dass wir von hier aus unsere Solidarität schicken.“
Lale Akgün liest den ersten Teil „Tag“ aus Erdoğans Essay „Sarajevo“ vor und Günter Wallraff schließt mit dem zweiten Teil „Nacht“ an. Zusätzlich liest der Enthüllungsjournalist noch Tagebuchaufzeichnungen von ihr aus der Putschnacht vor: „Und doch fühle ich, dass ich meinen Glauben an den Frieden noch nicht verloren habe.“
„Es ist nur der Anfang“
Vor 30 Jahren hat Günter Wallraff schon einmal Gefangene in der Türkei besucht und Hafterleichterung gefordert, deswegen ist für ihn auch der erste Schritt, die Gefangenen besuchen zu können. Zudem fordert er das Publikum auf, mit Recep Erdoğans Anhängern zu reden. Man solle „nicht sagen, wir sind die Besseren. Nicht von oben herab reden, sondern auf Augenhöhe miteinander diskutieren. Denn das, was wir jetzt bei Erdoğan sehen, ist nur der Anfang.“ Des Weiteren fordert er die deutschen Politiker auf, etwas zu unternehmen und nichts mehr zu verschweigen.
Osman Okkan schließt ab: „Wir wissen nun von Doğan Akhanlı, wie wichtig Unterstützung sein kann.“ Das KulturForum TürkeiDeutschland will sich weiter für die Inhaftierten einsetzen und plant eine Postkartenaktion, um die Schriftsteller und Journalisten symbolisch zu unterstützen und ihnen zu zeigen, dass sie nicht allein sind. Für Vorschläge und Ideen seien alle Beteiligten offen. Der Abend endet mit Musik von Aslı Dila Kaya und Ulrich Klan, die mit sanften Klängen die Nacht einläuten. Mitveranstalter des Abends waren PEN-International, der Armin T. Wegner Gesellschaft und Literatürk.
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