Der elfte Ballettabend b.11 von Martin Schläpfer, Ballettchef beim Ballett am Rhein in Düsseldorf, scheint mehr noch als alle vorherigen auf die Kraft zeitgenössischer Musik zu setzen. Wie immer sind die aus drei Einzelstücken verschiedener Choreografen zusammengestellten Abende geprägt von unterschiedlichen choreografischen Handschriften.
Da ist einmal das wuchtige, problemorientierte Tanzstück „Backyard“ des Choreografen-Duos Uri Ivgi und Johan Greben, die Uraufführung dieses Abends. Dann folgt Schläpfers tiefgründiges „Violakonzert“, eine Wiederaufnahme aus seiner Mainzer Zeit von 2004 und abschließend das leichte, unterhaltsame „Fearful Symmetries“ von Nils Christe.
In „Backyard“ – Hinterhof – richten die Choreografen den Blick auf jegliche Form von Missbrauch, wie er in der Enge eines tatsächlichen wie geistigen `Hinterhofes´ gedeiht. Zehn Tänzerinnen und Tänzer gehen in einem Karree ihre Wege, das nach außen ein Kettenvorhang begrenzt. Plötzliche, ruckartige Bewegungen stoppen und verändern den Fluss des Gehens, kleine Rangeleien, ein kurzes Anhocken, Arme schießen in die Höhe, dann finden sich alle im gleichen Bewegungsrhythmus wieder. Schließlich wird eine Frau herausgegriffen, durch den rasselnden Vorhang nach draußen gedrängt, übergriffige Hände packen ihren Körper. Irgendwann krachen die Ketten zu Boden, in unverhoffter Freiheit verlaufen sich alle, finden sich wieder in der Gruppe, halten sich entsetzt die Münder zu. Es ist eine oftmals im wahrsten Wortsinn zupackende, kraftvolle Bewegungssprache, dem Thema angemessen, auch wenn der Abschluss mit dem großartigen Solo von Yuko Kato mehr auf Versöhnung als auf Aufbegehren gerichtet ist. Für die Brüche und Verwerfungen, für das sozial Übergriffige bilden die Kompositionen von Bernd Alois Zimmermann, das donnernde „Anger“ von Ryuichi Sakamoto und das repetierende „Fratres“ von Arvo Pärt einen eindrucksvollen Hintergrund.
Nils Christes Ballett in zwölf Einzelszenen, „Fearful Symmetries“, nach der gleichnamigen Komposition von John Adams, steht mit seinem Stilmix aus Klassik, Modern, Jazz und Disco dazu in völligem Kontrast. Temporeich wechseln die Formationen von Linie zu Diagonale oder von Solo zu Gruppe. Jede Szene endet mit einem Blackout, geschickt inszeniert durch eine blickdichte Lichtwand, die bei Klarsicht eine veränderte choreografische Form präsentiert. Unermüdlich treibt die Musik den Tanz voran. Das hinterlässt das ungute Gefühl, die Choreografie würde hier mehr der Musik hinterher laufen als sich von ihr leiten zu lassen.
Den Höhepunkt des Ballettabends aber bildet zweifellos Martin Schläpfers „Violakonzert“, benannt nach dem „Konzert für Viola und Orchester“ von Alfred Schnittke. Es ist wohl eines seiner intensivsten und persönlichsten Stücke, gewidmet seiner Mutter. Die Emotionalität dieses Balletts, der empfindsame Umgang mit der Musik und die Suche nach dem angemessenen tänzerischen Ausdruck noch für den kleinsten musikalischen Moment ist hier in jeder Phase spürbar. Die Fähigkeit, diesen Prozess bei der Betrachtung des Ergebnisses mitempfinden zu können, ist die große choreografische Kunst von Martin Schläpfer.
Eine bühnenhohe Lichtstele umkreist während des Tanzes die Bühne. Marlúcia do Amaral, Camille Andriot und Yuko Kato eröffnen das Ballett zu Violaklängen. Wenn sie in der Bewegung erstarren, sind ihre Körper zugleich Instrument und Pose. Im stehenden Spagat strecken sie ein Bein wie einen Geigenbogen in die Höhe, scheinen den Klang mit dieser Bewegung auf die Bühne zu bringen. Es sind kleine Kraftwerke der Virtuosität, die noch in den ungewöhnlichsten Positionen und Haltungen den Körper in der Balance halten und der Schwerkraft zu trotzen scheinen. Bei aller Schönheit des Tanzes und Virtuosität der Tänzerinnen und Tänzer ist dieser Ballettabend vor allem auch ein musikalischer Genuss, geboten von den Düsseldorfer Symphonikern unter Leitung von Christoph Altstaedt und der Viola von Gabriel Bala.
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