„Fast Fashion“, der ständige Wechsel der Kollektionen, bedeutet Textil-Müllberge, vergiftete Böden und schamlosen Konsum. Die vertikale Textilindustrie hat es geschafft, dass sich heute praktisch jeder die neueste Mode leisten kann. Diese Geschäfte sind auch aus Köln nicht mehr wegzudenken. Doch trotz Öko-Papiertüte und aller Beteuerungen: Der ökonomische Erfolg ist nur durch extreme Ausbeutungsverhältnisse zu erreichen. Mit schnellen Kollektionswechseln – der sogenannten „Fast Fashion“ – sowie „vertikal“ und hyper-effizient organisierten Produktionsketten, reagiert beispielsweise Primark auf die aktuellsten Modetrends und bietet Kleidung zu niedrigsten Preisen an. Trends werden registriert, kopiert und so rasch wie möglich in die eigenen Läden gehängt. Der Fairness halber muss angemerkt werden, dass Primark derzeit lediglich der konsequenteste Vertreter einer Entwicklung ist, die bereits in den 90er Jahren mit H&M und Co. begonnen hat. Waren damals noch vier bis sechs Kollektionswechsel pro Jahr ein Novum, wird das Angebot heutzutage nicht selten ein Dutzendmal komplett ausgetauscht.
Volle Kleiderschränke und ein Überangebot in den Einkaufsmeilen gehen Hand in Hand mit dem Wunsch nach Selbstverwirklichung durch Shopping. Während die Pro-Kopf-Ausgaben für Kleidung seit 30 Jahren stagnieren, ist die Anzahl der gekauften Teile in dieser Zeit gestiegen. Marktanteile gewinnt, wer den Wunsch nach angesagten Outfits am billigsten bedient. Klassische Warenhäuser und kleine Modeläden werden verdrängt, weil nicht nur Primark, Inditex (u.a. Zara) und H&M, sondern auch die ‚echten‘ Discounter Aldi und Lidl mittlerweile auf den lukrativen Zug mit dem Billigschick aufgesprungen sind.
Ein wie von Primark nur auf die Spitze getriebenes Konsummodell erzeugt extreme Probleme. Baumwollanbau verbraucht immense Mengen an Wasser und Pestiziden. Fast 25 Prozent der weltweit eingesetzten Insektizide gelangen auf Baumwollfelder. Zur Ertragssteigerung überwiegt mittlerweile der Anteil gentechnisch veränderter Pflanzen, um noch wirksamere Pestizide verwenden zu können. Gleichzeitig ist seit 2004 die Menge an Textilmüll weltweit um über 25 Prozent gestiegen – in Großbritannien spricht man vom „Primark-Effekt“. Produziert wird natürlich immer dort, wo die Lohnkosten am niedrigsten sind. Gingen ab 2005 etliche Jobs in der Textilindustrie von Bangladesch ins aufstrebende China, wanderten die Jobs wenige Jahre später wieder zurück nach Bangladesch, Pakistan oder Vietnam. Das sich schnell entwickelnde China konzentriert sich mittlerweile auf höherwertige Outdoor-Klamotten sowie Lauf- und Sportschuhe. Bezahlt wird oft nicht nach Stunden, sondern nach produziertem Stück – der Lohn ist aber so niedrig, dass Überstunden für die Näherinnen unvermeidlich sind.
Dass es heutzutage trotzdem fast kein Unternehmen ohne eine Abteilung für „Soziale Unternehmensverantwortung“ gibt, ist Verdienst von sozialen Bewegungen und zahlreichen NGO-Kampagnen. In der Außendarstellung sind sie ein unverzichtbarer Teil der PR geworden und beruhigen das Konsumentengewissen. Dabei wälzen die Verhaltenskodizes nur die eigene Verantwortung auf die schwächeren Glieder der Kette ab. Dennoch ist den Auftraggebern oft gar nicht bekannt, woher die einzelnen Kleidungsstücke kommen. Als der Sportartikel-Hersteller Puma Mitte des Jahrzehnts wegen Arbeitsrechtsverletzungen bei einem Zulieferer in El Salvador in die Kritik geriet, erwies sich die Fabrik als Subzulieferer, fiel somit nicht unter den konzerneigenen Kodex. Der eigentliche Produzent hatte den Auftrag an eine andere Fabrik weitergegeben, ohne Pumas Autorisierung. Das Beispiel zeigt, viele Unternehmen wissen weder, woher die verwendeten Rohstoffe kommen, noch in welchen Fabriken die Kleidung genäht wird. Ein System, das mit Agenten, Lieferanten, Sublieferanten, Zulieferern der Sublieferanten usw. arbeitet, erscheint nicht reformierbar.
Die Beispiele zeigen: Das Problem sind nicht einzelne Unternehmen oder deren Lieferketten; es geht nicht mal um die Textilindustrie. Das grundlegende Problem ist ein ausbeuterisches Wirtschaftssystem – mit Elend für die Verlierer und einer Frage an die Gewinner: Was wäre unser Leben im Kapitalismus ohne Shopping überhaupt noch wert?
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