Leichtfüßig und locker in T-Shirt und dunklem Jackett gekleidet, tänzelt Benjamin Weiß, Moderator des Poetry Slams „Reim in Flammen“, auf die Bühne. Er hat mit seiner ausholenden Gestik einen Hang zum Showmanship, ohne aber dabei wie eine Rampensau zu wirken, denn sein Spaß an der Moderation überträgt sich auch deutlich auf das Publikum.
Normalerweise findet der Poetry Slam im Club Bahnhof Ehrenfeld statt, während der Sommerpause allerdings an verschiedenen Orten und an diesem Freitagabend ist der Slam zu Gast im Millowitsch Theater. Vier Poeten von der linken Rheinseite treten gegen vier Poeten von der rechten Rheinseite an. Lokalpatriotismus ist garantiert und der Applaus des Publikums entscheidet, welcher der acht Slammer als Sieger nach Hause geht. Als Preise winken den Linksrheinern ein Kasten Diebels und den Rechtsrheinern ein Kasten Kölsch. „Es war schwer ersteres hier zu bekommen“ kommentiert Weiß.
Moderator Weiß lässt sich jedoch nicht die Ehre nehmen, zu Beginn des Poetry Slams selbst ein Gedicht vorzutragen. Er wählt dafür „Der Rhein und Deutschlands Stämme“ von Kurt Tucholsky. Mit Versen wie „Wer Lieder für Operetten schreibt, aus Prag, aus Wien und aus Bentschen – : Den möchte ich sehen, der da ungereimt bleibt – es sind halt geschickte Menschen“ lässt er sowohl linksrheinische, als auch rechtsrheinische Herzen höher schlagen.
Als erste Slammer der linken Seite vom Rhein macht Casjen Ohnesorge aus seiner Wohnungssuche ein poetisches und romantisches Abenteuer, in dem der „Balkon zur Tendelei“ zur Verfügung steht und „die Fliesen als Teppich für Stunden schärfer als Rettich“ sind. Die Ernüchterung folgt mit der ersten Begegnung mit dem Vermieter gleich auf dem Fuße, denn dieser ist „so dumm wie Safran“ und verbietet die „Liebesspiele in der Diele“ und die „Lektüre auf der Toilette.“ Ohnesorge wirkt ein wenig sonderbar mit seinem Grinsen und seinen dramatischen Posen, allerdings ist seine Performance dadurch umso charmanter.
Maximilian Humpert knüpft sich dagegen die Generation „Ironie“ vor und beschreibt einen passiv-aggressiven Lebensstil, aus dem schwer wieder auszubrechen ist. „Ironie ist ein leicht zu tragender Schutzschild, hinter dem man sich leicht verstecken kann… Ironie entzieht einer Diskussion die gleiche Wirkung wie ein Nazi-Vergleich, sie zerstört sie.“ Er wirkt ein wenig pathetisch, wenn er nach mehr Ehrlichkeit in seinem Leben verlangt, denn die verschiedenen Facetten, die Ironie haben kann, unterschlägt er einfach und betont insbesondere ihre Bösartigkeit. Seinem Vortrag fehlt die Finesse und der Witz. Vielleicht hätte ihm sogar ein wenig Ironie gut getan.
Ähnlich verhält es sich mit den beiden Performances des rechtsrheinischen Sim Panse. In seiner ersten Vorstellung klagt er konsumkritisch relativ einfache, weil große Ziele an: „Stellt euch mal vor es finden Krawalle statt, weil McDonalds Werbung für Kinder mach. Stellt euch mal vor es finden Krawalle statt, weil man uns manipuliert anstatt gebildet hat.“ Es liegt eine gewisse Wahrheit in seinen Texten, leider kann er dieser kaum irgendwelche neuen oder innovativen Aspekte abgewinnen.
In seiner zweiten Darbietung beschreibt er in einer unerklärlich krächzenden Stimme seine Einkaufserfahrung, die ihn nach seinem harten Studientag durch REWE führt. Er lamentiert über seine eigene Demut, wenn er an der Gemüsetheke vorbeigeht, während „die anderen durch die Regalwände stürmen als wären sie Soldaten auf einer Mission. Soldaten, die keinen Blick für die Schönheit haben, weil sie stets in Feindkontakt geraten könnten.“ Interessante Bilder wie der Pfandautomat-Gott, der die halbvolle Cola-Flasche als Opfergabe ablehnt, gehen leider in dieser erzwungen skurrilen Performance unter. Auch das Publikum wird nach anfänglichem Amüsement immer zurückhaltender.
Mit schütterem Haar, Hornbrille und untersetzter Figur verkörpert der Slammer Christian Gottschalk aus Köln-Ehrenfeld mit seiner ruhigen Art dagegen rheinische Gemütlichkeit. Auch wenn sein Vortrag schon fast gewollt monoton wirkt, überzeugt er mit seiner Persönlichkeit sowie seinem scharfen Sinn für Alltagsbeobachtungen und Selbstironie.
Insbesondere To-Do-Listen, die sich in Männermagazinen finden lassen, sind ihm ein Dorn im Auge. Der Wunsch, einmal im Leben Sex auf der Flugzeugtoilette zu haben, ist ihm z.B. fremd. „Ich benutze Flugzeug-Toiletten nicht einmal gern für ihren eigentlichen Zweck“, hält er dagegen. Er nimmt sich Castingshows, Goodbye Deutschland, aber auch den Arthaus-Film vor, der „uns allzu oft ein falsches Bild von ungezügelter Lebensfreude vermittelt: den Kopf aus dem Autofenster zu halten und dabei zu jauchzen, ist gar nicht so toll, es ist gefährlich und dumm.“
Den „Selbstoptimierungspropheten“ und „Fit for Fun-Faschisten“ stellt er seine eigene Liste gegenüber: z.B. „sich mit dem Fahrrad erfolgreich dem polizeilichen Zugriff entziehen oder den Job kündigen, weil man beleidigt ist.“
Seine zweite und finale Performance wirkt nicht weniger bequem und sympathisch, auch wenn er von einigen „unbequemen Wahrheiten“ erzählt: So war Lady Di gar nicht so hübsch, wie sie in den Medien immer dargestellt wurde. „Sie sah eigentlich so mittel aus“ und „Götz George hat in der Totmacher einfach nur furchtbar schlecht gespielt“. Außerdem „braucht man Delphine nicht, um Autisten zu therapieren. Ziegen täten es auch.“ Daneben präsentiert er auch unbequeme Fragen: „Werde ich mit fünfzig Publizist?" Er wäre dann nämlich Publizist. „Was ist eigentlich ein Szenelokal und hat die Drogenszene auch eins?“ Und wer bestimmt eigentlich, was ein „no go“ und ein „must have“ ist? Eine konkrete Antwort hat auch Gottschalk nicht, nur die feste und einleuchtende Überzeugung, dass niemand mehr die Worte „no go“ und „must have“ in den Mund nehmen sollte. So viel Einsicht wurde an diesem Abend mit tosendem Applaus belohnt und der Linksrheiner ging als Sieger mit einem Blumenstrauß und einem Kasten Diebels nach Hause.
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