choices: Frau Negassi, stimmt es, dass Sie zunächst gar nicht in die Modebranche wollten? Warum ist es anders gekommen?
Bisrat Negassi: Ich bin als Kind mit meinen Eltern als Geflüchtete nach Deutschland gekommen und hatte seitdem den Wunsch, beruflich etwas zu machen, womit ich meiner Familie und Freunden in Eritrea etwas zurückgeben konnte. Daher hatte ich fest vor, in die Medizin zu gehen, um dann auch wieder nach Eritrea zurückzugehen und dort Leben zu retten. Das war der Plan, der sich aber schnell zerschlagen hat, als ich beim ersten Praktikum gemerkt habe, dass ich kein Blut sehen kann und auch die typischen Krankenhausgerüche nicht vertrage. Insofern musste ich mich umorientieren und dachte zunächst an Journalismus mit Schwerpunkt Kriegsberichterstattung. Aber irgendwie hat es mich immer wieder und immer mehr zur Mode gezogen. Dabei habe ich früher immer gedacht, dass Mode doch etwas Banales sei, etwas, das kein Mensch wirklich braucht. Ich habe mich gefragt, was man mit Mode Gutes tun kann. Aber dann habe ich genau die richtigen Leute getroffen und gemerkt, dass Mode eine universelle Sprache ist, die viele erreichen kann und unser mobiler Schutzraum ist, mit dem wir jeden Tag zu tun haben. Jeden Tag können wir mit Mode uns der Gesellschaft mitteilen, sie ist ein Teil von Kultur. Je mehr ich mich mit diesen Überlegungen auseinandergesetzt habe, desto wohler habe ich mich damit gefühlt – als hätte ich in der Mode eine Heimat gefunden.
Haben Sie den Eindruck, dass den Menschen bewusst ist, was sie tragen und woher es kommt?
Ich denke, die meisten Menschen haben gar keine Zeit, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, woher ihre Kleidung kommt. So gesehen bleibt man da sehr an der Oberfläche. Umso besser ist es, dass die jüngere Generation dagegen aufbegehrt. Denn gerade in der Modebranche ist die kulturelle Aneignung als negativer Pol zur kulturellen Anerkennung immer schon betrieben worden. Das Problem hierbei ist, dass es Ausdruck eines Machtgefälles ist: Es ist schlicht nicht richtig, wenn man Orientteppiche, hinter denen eigentlich eine sehr lange und wertvolle persische Tradition steckt, in einschlägigen Einrichtungshäusern für weniger als 20 Euro erhält. Ähnliches habe ich auch bei Schmuck aus Eritrea entdecken können, hinter dem eine traditionsreicheHandwerkskunst steckt. Aber in Europa werden diese Dinge kopiert, für wenig Geld als Modeschmuck regelrecht verscherbelt und landen binnen kürzester Zeit im Mülleimer. Transkulturalität ist wichtig. Aber wir müssen ins Gespräch kommen über die Geschichte dahinter und die Machtgefälle, die bis heute existieren. Schaut man sich die Modebranche heute an, so ist klar, dass der Kolonialismus immer noch Gegenwart ist. Das können wir nur auflösen, indem wir die Geschichte aufarbeiten.
„Ich habe den Eindruck, dass die Menschen bewusster konsumieren“
Hat sich der Stellenwert von Konsum und Äußerlichkeiten gewandelt?
In meiner Blase, vor allem bei den Jüngeren, habe ich schon den Eindruck, dass die Menschen bewusster konsumieren. Der Klimawandel ist etwas, was jeden spürbar betrifft und man merkt, wie alles zusammenhängt. Die Frage nach Nachhaltigkeit in der Mode hat beispielsweise damit zu tun, wie und wo wir produzieren. Es ist leider noch ein langer Weg hin zu nachhaltigem Konsumverhalten, aber ich möchte mir trotzdem gestehen, dass ich hier und da eine Veränderung, einen kleinen Schritt in die richtige Richtung bemerke. Beispielsweise stelle ich erfreut fest, dass in meinem Bekannten- und Freundeskreis zu Weihnachten immer mehr gemeinsame Zeit oder auch Selbst-Kreiertes verschenkt wird. Im Stadtbild sehe ich auch, dass es zunehmend Secondhandläden gibt. Die Menschen sehen das Konzept inzwischen als sinnvoller an, nehmen es ernst. An meiner Kundschaft sehe ich auch, dass lieber mal der teurere Mantel von besserer Qualität gekauft, der länger hält als die schnelllebige Mode oder auch weitergegeben wird. Ich hoffe sehr, dass diese Entwicklungen anhalten.
Sie haben in den USA und in Frankreich gelebt. Wie unterscheidet sich der Stellenwert von Mode in
unterschiedlichen Ländern?
Früher waren diese Themen nicht so präsent, insofern kann ich das nicht genau sagen. Was Paris betrifft, so war es damals schon ein Arbeiten mit ganz vielen verschiedenen Menschen aus allen Teilen der Welt – und das auf Augenhöhe. Ich denke, hier spielt rein, dass gerade Paris wirklich ein Schmelztiegel ist und das Gefühl von „multi-kulti“ ist dort ein Lebensgefühl, ein Stadtgefühl. Ich habe es auch immer eher als kulturelle Anerkennung empfunden. Für Paris war das eine organische Entwicklung, die ein gutes Zusammenleben möglich machte. Davon würde ich mir etwas mehr in Deutschland wünschen.
„Kundinnen waren enttäuscht, weil ich keine ‚afrikanische‘ Mode mache“
Wie bringen Sie kulturelle Aspekte bringen Ihre Arbeit ein?
Indem ich einfach das mache was ich mache, mich von meinem Alltag inspirieren lasse, egal, ob die Inspirationsquelle eine geometrische Form ist oder einGedicht. So wie es dann letztendlich auf dem Bügel hängt, ist es das Endprodukt meiner Kreativität, das von meinen Wurzeln und den verschiedenen Kulturen beeinflusst wurde, die ich in mir trage. Anfangs gab es Kundinnen, die fast enttäuscht waren, weil ich keine ‚afrikanische‘ Mode mache – was auch immer das sein soll. Gemeinsam mit Familienangehörigen und Freunden habe ich 2016 den Salon M.Bassy gegründet, ein Begegnungsort und eine Plattform für Künstlerinnen und Künstler ausLändern Afrikas. Wir hatten damals die Idee, ein anderes Licht auf Afrika zu werfen. Wir kuratieren Ausstellungen, organisieren Events und kulturelle Veranstaltungen, in denen die Geschichten aus der Perspektive verschiedener Länder Afrikas erzählt werden.
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unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-deutschland/traditionen | Essay des Ethnologen Wolfgang Kaschuba über Bewahren und Wandel von Brauchtum.
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