Am ersten Septemberwochenende dieses Jahres wurde in Köln die sommerliche Narrenkappe aufgezogen und „Jeck im Sunnesching“ (Jeck im Sonnenschein) gefeiert – im Volksmund auch „Sommerkarneval“ genannt. Tausende kamen in den Jugendpark am Rhein und feierten besinnungslos sich und ihre Stadt. Einst die Idee eines Kölner Kneipiers, der mit einigen Kumpeln meinte, es wäre doch mal ganz schön, Karneval nicht bei lausiger Kälte zu feiern, wurde aus dem harmlosen Streich ab 2015 ein Massen-Event, das fortan von einer Kölsch-Brauerei veranstaltet und gesponsert wird. Kommerz Alaaf!
Gegen den Polizeistaat
Bereits im Juni 1844 hatte es auf der Rheininsel Nonnenwerth einen Sommerkarneval gegeben. Damals stellte sich der „Fastelovend“ als ein Vehikel dar, mit dem sich demokratische und fortschrittliche Forderungen in breite Schichten der Bevölkerung transportieren ließ: Gegen Unterdrückung, Entmündigung und Ausbeutung. Der Protagonist der Politisierung des „Fasteleer“ war der Zigarrenhändler, Radikaldemokrat und Karnevalist Franz Raveaux. Als Reaktion auf das Verbot einer Düsseldorfer Karnevalsgesellschaft durch den preußischen Polizeistaat organisierte Raveaux das Treffen auf Nonnenwerth. Rund 30 Karnevalisten – mehr ließ die preußische Polizei nicht zu – aus Düsseldorf, Köln, Bonn, Koblenz und Mainz trafen sich zu einer Art „Revolutionär im Sunnesching“. Das befürchtete auch der „Coblenzer Anzeiger“, als es in der Zeitung hieß: „Es möchten wohl noch andere, dem Karneval ganz fremdartige Gegenstände, daselbst zur Sprache kommen“. Von einem Liederblatt hatte der Zensor das „Freiheitsband“ durch ein „Freundschaftsband“ ersetzt. „Freiheit“ war der Obrigkeit ein durch und durch suspekter Begriff, der all zu sehr nach Französischer Revolution roch. Und nach der hatte man sich ja erst fein restauriert wieder eingerichtet.
Vor Prinz und Dreigestirn
Raveaux, der bereits als Revolutionär in Belgien agiert hatte und später Abgeordneter im Frankfurter Paulskirchen-Parlament wurde, propagierte einen politischen Karneval, der sich satirisch mit aktuellen Ereignissen auseinandersetzen sollte. Raveaux stand konsequent auf Seiten der einfachen Menschen, der „arbeitenden Klasse“, wie man damals sagte. Er gründete die alternative „Allgemeine Carnevalsgesellschaft“, die sich gegen die großbürgerliche „Kölner Carnevalsgesellschaft“ positionierte. Die neue Gesellschaft hatte starken Zulauf aus niederen Ständen und Proletariat. Das Motto lautete: „Freiheit und Gleichheit im Narrenthum“, eine Anlehnung an das französische Revolutionsmotto: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ (liberté, egalité, fraternité). Bereits 1845 gelang es Raveaux den Rosenmontagszug auszurichten, an die Stelle von Held Karneval (Prinz und Dreigestirn kamen erst später auf) setzte Raveaux den anarchischen Hanswurst, der die Narren zu wilden Gesänge anstachelte: „Hanswoosch hätt sich emanzitpeet / Hä is jitzt under mündig“ (Hanswurst hat sich emanzipiert / er ist jetzt mündig). Die Menge skandierte zudem: „E-L-F“, die Anfangsbuchstaben des Revolutionsmottos, als versteckte, aber verständliche Kritik an der preußischen Staatsmacht.
Fürs Geschäft
Heute hingegen gründet der Fastelovend — abgesehen von alternativen Perlen wie der Stunk-Sitzung – Sommers wie Winters, in einem dumpf-affirmativen „Heimotjeföhl“, von dem viele Kölner mittlerweile ganzjährig besoffen sind. Woraus es sich speist, das bleibt ein Rätsel angesichts der vielen Baustellen in der Stadt – im buchstäblichen (Schauspielhaus, Mülheimer Brücke usw.) wie im übertragenen Sinne (wachsendes Elend, Obdachlosigkeit usw.). Es ist aber gut fürs Geschäft.
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