Als ich einmal durch die Straßen der georgischen Hauptstadt Tiflis, in der sich geschäftiger Moloch und lauschige Gässchen abwechseln, flanierte, bekam ich plötzlich ein Hüngerchen. Wenig später gesellte sich ein Dürstchen hinzu. In so einer Situation hilft in der Regel ein halber Liter Buttermilch. Schmeckt, macht satt, stillt den Durst. Allein, Buttermilch scheint ein ziemlich deutsches Kulturprodukt zu sein, wenigstens ein mitteleuropäisches.
Generell ist das mit den Milchprodukten nie so ganz einfach. Man muss wohl einen Abschluss in Laktologie haben, um Sahne, Crème fraîche und Schmand auseinanderzuhalten. Von Crème fraîche légère oder Crème double fange ich gar nicht erst an. Es mag sein, dass ich einfach ein lausiger Koch bin, aber haben Sie gewusst, dass die französische Crème fraîche anders ist als die deutsche? Und können Sie mit Bestimmtheit sagen, was Kefir jetzt von Ayran oder Buttermilch unterscheidet? Ich wette, es gibt Länder, da steht auf jedem dieser Produkte dasselbe Wort drauf, und Crème fraîche heißt da einfach dicke Sahne und Schmand heißt zwar Šmand, enthält aber anderthalbmal so viel Fett wie unser Schmand und wird aus Stutenmilch gemacht. Also: Keine Milchprodukte im Ausland kaufen!
Käse geht immer?
Außer Käse, der geht eigentlich immer, begeistern tut er aber eigentlich nur in Frankreich. In Bulgarien hingegen kann man Schinken-Käse-Röllchen en bloc kaufen, also im Ziegelsteinformat und auch wenn das nicht repräsentativ sein soll für die deftige, vielfältige bulgarische Küche, so reicht eigentlich schon so ein Block, um einen Menschen glücklich zu machen. Sollte man meinen. Eine Dame, die ich in Sofia traf, die aber nicht so hieß, war von Bulgarien nicht so angetan. „Wie soll ich – als Französin! – in einem Land glücklich werden“, fragte sie mich, während sie ihr Gesicht schluchzend in ihren Händen vergrub, „in der es nur zwei Sorten Käse gibt? Die heißen dann auch noch Gelber Käse und Weißer Käse!“
Jetzt hätte Käse aber auch nicht gegen mein Dürstchen geholfen. Also entschied ich mich, im nächstgelegenen rumpeligen, aber feinen Tante-Emma-Laden, der zwar Lebensmittel verkaufte, aber keine Tanten, zwei Gürkchen zu kaufen, um sie ganz unkompliziert im Laufen zu verhapsen. Gürkchen sind Trinkpäckchen und Snackriegel in einem. So legte ich also zwei Exemplare dem alten kaukasischen Ömchen auf ihre Lebensmittelwaage, die noch aus sowjetischer Produktion stammte – oder aus zaristischer. Die Frau, die ihre Kleidung sicherlich noch mit einem Bügeleisen glättet, das sie vorher auf eine holzfeuererwärmte Herdplatte legt, griff nach ihrem Plastiktütenbündel, um meinen Einkauf darin zu verstauen. Ich, der Kunde aus dem reichen Deutschland, der seine Taxis per Wischen auf dem Smartphone bestellt, gab zu bedeuten, dass ich keine Verpackung wünschte, da ich weiß, dass ausnahmslos jede Plastiktüte zwangsläufig irgendwann in einem Schildkrötenmagen landet.
Unverpackt gibt’s nicht
Die Verkäuferin hielt inne. In ihrem Blick lagen die Erfahrungen aus zwei Weltkriegen, einem Bürgerkrieg, dem Leben unter einem skrupellosen Diktator, den Entbehrungen klirrender Winter und unschuldigen, sommerlichen Badefreuden im Fluss. Aus einem Leben zwischen goldenen Kirchen, strengen Ballettschulen und Bergen von Kartoffelschalen. In diesem Blick lagen aber auch Unverständnis und … ja, war es Verachtung? Mit mehr Autorität in der Stimme als ein ganzer Jahrgang deutscher Lehramtsstudenten jemals aufbringen könnte, sagte die Dame: „Kultura!“ – und schob energisch das Gemüse in die Tüte.
Und ich wusste, dass ich, der Sprach-, Kultur- und Sozialwissenschaften an internationalen Universitäten studiert hat, einen Scheiß davon weiß, was Kultur überhaupt ist. Erst diese Begegnung hat mir einen Hauch einer Ahnung davon verliehen. Diese weise Gemüsehändlerin aus dem Kaukasus hätte mir noch viel beibringen können.
FREMDE BRÄUCHE - Aktiv im Thema
bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/lebendige-traditionen-bewahren-425694 | Informationen der Bundesregierung zum Schutz des immateriellen Kulturerbes in Deutschland.
unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-deutschland/traditionen | Essay des Ethnologen Wolfgang Kaschuba über Bewahren und Wandel von Brauchtum.
religionen-entdecken.de/lexikon/f/feste-in-den-religionen | Kompakte Informationen zu religiösen Festen, vor allem für Kinder von 8 bis 13 Jahren.
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