Freitag, 17. Februar: Auf den ersten Blick könnte man den Eindruck erlangen, dass für queere Menschen oder LGBTIQs zumindest in Europa rechtlich schon vieles erreicht wurde. Aber gerade angesichts des Erstarkens der Rechtspopulisten ist einiges nicht mehr selbstverständlich und muss anderes beständig verteidigt oder weiter erkämpft werden. Vor diesem Hintergrund ist die Verleihung der „Teddy Awards“ für die besten queeren Filme der Berlinale, die die sexuelle Vielfalt feiern und für Toleranz und Freiheit eintreten, nach wie vor wichtig. Der weltweit bedeutendste queere Filmpreis wurde in diesem Jahr im „Haus der Berliner Festspiele“ zum 31. Mal in fünf Kategorien verliehen. Im Gegensatz zu seinem schwulen Vorgänger Klaus Wowereit ließ sich der Regierende Bürgermeister Berlins, Michael Müller, in diesem Jahr bei der Preisverleihung entschuldigen. Stattdessen war mit der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, aber doch noch eine hochrangige Politikerin anwesend, die sich in ihrer Ansprache als „Hetero-Gast“ outete und das Motto für den Abend festschrieb. In Anlehnung an die Antrittsrede des neuen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, in der dieser mehr Mut eingefordert hatte, ergänzte Nales: „Mehr Mut, gegen Diskriminierung und Ungleichheit anzustinken, mehr Mut, gegen Autokraten und Rechtspopulisten Flagge zu zeigen, mehr Mut, für Toleranz und Vielfalt einzutreten, und das nicht nur in unserem Land, sondern weltweit.“ Dann adressierte sie das anwesende internationale queere Publikum mit den Worten. „Ihr seid die Mutigen, ihr habt die Welt verändert, ihr macht den Unterschied aus.“
Der erste Preis des Abends, der vom Schwulenmagazin „Männer“ gestiftete Publikumspreis „Harvey Award“, wurde Francis Lees stimmungsvoller „Brokeback Mountain“-Variante „God’s Own Country“ zugesprochen. Ein „Teddy Award“ für den besten Kurzfilm aus dem Berlinale-Programm ging danach an die schwedisch-norwegische Koproduktion „Min homosyster“ (My Gay Sister) von Lia Hietala. Der in der Sektion „Generation KPlus“ aufgeführte 15-Minüter handelt von einem zehnjährigen Mädchen, das mit der Homosexualität seiner älteren Schwester zurechtkommen muss. Der „Special Jury Award“ wurde dem japanischen Film „Karera ga honki de amu toki wa“ (Close-Knit) von Naoko Ogigami zugesprochen. Auch hier steht ein junges Mädchen im Mittelpunkt, das unvermittelt mit queerem Leben konfrontiert wird, als es zu seinem Onkel geschickt wird, der mit einer Transfrau zusammenlebt. Wie in jedem Jahr wurde auch 2017 ein „Special Teddy Award“ für ein Lebenswerk verliehen, der an die offen lesbische Filmemacherin Monika Treut ging. Die war in den frühen 1980er Jahren erstmals als Regisseurin in Erscheinung getreten und hat mit Werken wie „Die Jungfrauenmaschine“ und „Gendernauts“ queere Filmgeschichte geschrieben. Auch Treut machte in ihrer Dankesrede auf die aktuelle politische Situation aufmerksam: „Wir beobachten an vielen Orten der Welt, dass die Zeiten wieder schlimmer werden. Auch in Europa werden viele Freiheiten, die wir für selbstverständlich halten, wieder zurückgenommen. Darunter leiden insbesondere Frauen, Kinder, Dunkelhäutige, die Arbeiterklasse, die Älteren und natürlich alle, die aus der Heteronormativität herausfallen.“
Als bester Dokumentar- bzw. Essayfilm ging der Teddy an die taiwanesische Regisseurin Hui-chen Huang und ihren Film „Ri chang dui hua“ (Small Talk), in dem diese ihre eigene, lesbische Mutter vor der Kamera porträtierte. Als bester Spielfilm konnte sich der chilenische Wettbewerbsbeitrag „Una mujer fantástica“ (A Fantastic Woman) von Sebastián Lelio gegen die ebenfalls nominierten Filme „God’s Own Country“ und den südafrikanischen „The Wound“ von John Trengove durchsetzen. In Lelios tags darauf auch mit dem Silbernen Bären für das beste Drehbuch ausgezeichnetem Drama geht es um eine Transfrau (gespielt von der echten Transfrau Daniela Vega), die nach dem Tod ihres Liebhabers ins Visier der Polizei und der Familie des Verstorbenen gerät. Über die Vergabe der Teddys entschied eine siebenköpfige Jury aus Queerfilmfestivalmachern, denen in diesem Jahr auch Martin Wolkner angehörte. Der ist in sechs NRW-Städten durch seine monatliche „homochrom“-Filmreihe und das im Herbst in Köln und Dortmund stattfindende „Filmfest homochrom“ bekannt, und trat am Abend der Preisverleihung zum ersten Mal öffentlich als „Drag Queen“ auf. Sein Kleid und die passende Handtasche dazu hatte er am selben Tag erst in Berlin in einem Secondhand-Laden erstanden. Die Wahl der Siegerfilme innerhalb der Jury gestaltete sich laut Wolkner sehr unkompliziert und ohne komplett gegenteilige Meinungen. Nun hofft er, viele seiner neuen Entdeckungen bald auch den Kinobesuchern in NRW vorstellen zu können: „Es hängt jetzt ein bisschen davon ab, ob diese Filme einen Verleih bekommen oder nicht, oder ob sie auf anderen Festivals wie beispielsweise dem Frauenfilmfestival gezeigt werden. Ansonsten werde ich natürlich versuchen, sie ins ‚Filmfest homochrom’ zu bekommen“, so Martin Wolkner.
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