Eine Qualität der Ausstellungen im Kunstverein ist die Präzision der künstlerischen Setzungen in der nicht ganz einfachen, durch Fensterscheiben zu Straße und Hof geöffneten Halle. Die aktuelle Installation der 1984 in Marseille geborenen, in New York lebenden Marie Angeletti geht in ihrer Genauigkeit und Reduktion noch weiter. Wahrgenommen wird zunächst ein s/w-Video, projiziert an der Stirnwand am Ende der Halle. Wie ein filmischer Schnappschuss zeigt es einen Ausstellungsrundgang, bei dem eine Frau mit ihrem Kind lacht. Dass es sich in „Laugh“ um eine Ausstellung von Walter de Maria handelt, könnte auf die verwandte Haltung von Angeletti weisen: im punktgenauen Definieren und Integrieren im Kunstkontext, in den sich das Werk diskret zurückzieht. Was bei Angeletti der Zeit und dem Zufall entnommen ist, wird präzise in Form gesetzt. Ihr Hauptbeitrag in der Halle sind vier Pfeiler aus Doppel-T-Trägern, die den Boden vertikal mit der Decke verbinden, als wären sie als Architekturelemente schon immer hier. Aber die Verankerungen an der Decke, Ausrichtungen und Farbüberzüge sind unterschiedlich. Zugleich sind die Pfeiler skulptural empfunden und können ebenso als monochrome Malerei wahrgenommen werden, bei der die Farbkörper miteinander korrespondieren.
Marie Angeletti hat beim Pressegespräch berichtet, dass es sich um typische Pfeiler in U-Bahn-Stationen handelt. Sie sind aus Stahl, gefertigt in Marseille, jede Verschraubung ist handwerklich gebohrt. Immer wieder lässt sie sich vom urbanen Geschehen anregen, und schließlich ließe sich in ihrer wunderbaren Ausstellung im Kunstverein vermerken, dass sich ihre skulpturalen Maßnahmen nicht mehr, aber auch nicht weniger auf Entdecken, Translozieren oder Neuschaffen und kontextualisiertes Präsentieren konzentrieren. Das gilt selbst für ihr Langzeitprojekt fotografischer Aufnahmen von Bauarbeitern, die, als Diaprojektion im Kinosaal, als Einzelne und als Gruppe porträtiert sind, und natürlich schwingt die Frage der Verfasstheit des Öffentlichen mit, das hier ausgespart ist.
Marie Angeletti ist vor allem mit fotografischen Arbeiten bekannt geworden, die mit Unschärfen, Verwischungen und übermäßigemLicht öffentliches Geschehen aufzeichnen und zwischen Fokussierung und Spontaneität oszillieren. Das gilt auch für ihre silberglänzenden Silbergelantine-Drucke, die im Obergeschoss zu sehen sind.Sie sind in ihrem Glanz und ihrem Charakter als Ereignis gar nicht so weit entfernt von den silbernen Kugeln im Untergeschoss, die dort wie zufällig liegen, aber jede für sich in Perfektion und mit der Hingabe, mit der die Schrauben in den Säulen gebohrt worden sind, poliert worden sind.
Die Ausstellung ist also auch seine unsichtbare Geschichte, und so ist es vielleicht gar nicht so unglücklich, dass ein weiteres Werk aus Sicherheitsgründen gar nicht gesehen werden kann. Auf dem Dach (und Angelettis Ausstellung für den Kölnischen Kunstverein ist eben auch eine Erzählung über das ganze Gebäude) befinden sich 43 kg schwarz gefärbtes, zerbrochenes Glas – und wir stellen uns vor, wie es in der Sonne glitzert und bei bedecktem Himmel in sich zusammensackt, unsichtbar wird.
Marie Angeletti – ram spin cram | bis 2.7. | Kölnischer Kunstverein | 0221 21 70 21
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